Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Sechster Abschnitt. 
  
Der Deutsche Zollverein. 
Radikale Theorien leiten den Staat aus dem freien Willen des sou- 
veränen Volkes ab. Die Geschichte lehrt vielmehr, daß in einfachen Ver- 
hältnissen die Staaten meist gegen den Willen der Mehrheit des Volkes, 
durch Eroberung und Unterwerfung entstehen; und wie der Krieg selbst 
in Zeiten bewußter Gesittung immer seine staatenbildende Kraft bewahrt, 
so wird auch die innere Politik freier Völker keineswegs allein durch die 
Wandlungen der öffentlichen Meinung bestimmt. Die folgenreichste po- 
litische Tat dieses Zeitraumes, die alle die kleinen Kämpfe um konstitu- 
tionelle Rechte gänzlich in den Schatten stellte, vollzog sich unzweifelhaft 
gegen den Willen der Mehrheit der Deutschen; die Nation wirkte nur 
mittelbar und halb unbewußt mit, da die Zornreden der Liberalen wider 
das deutsche Elend und die berechtigten Klagen der Geschäftswelt den 
Regierungen einen rettenden Entschluß aufzwangen. Der größte praktische 
Erfolg der Idee der deutschen Einheit war das Werk der nämlichen Kronen, 
welche die deutschen Farben verfolgten und den Vorschlag eines Deutschen 
Reichstages als eine revolutionäre Ketzerei zurückwiesen. So unerbittlich 
zwang die Vernunft, die in den Dingen lag, auch die Widerwilligen und 
die Ahnungslosen in ihre Dienste. 
Nach dem Tode Motz', des einzigen Staatsmannes, der die poli- 
tischen Folgen des preußischen Handelsbundes von vornherein ganz über- 
sah, erhielt sein Freund Maassen, der Begründer des Zollgesetzes, die 
Leitung des Finanzwesens. Die Wahl des Königs konnte keinen würdigeren 
Mann trefsen. Maassen überragte den Verstorbenen durch umfassende 
Sachkenntnis; klug, gerecht, wohlwollend verstand er bei den Unterhand- 
lungen sich das Vertrauen der argwöhnischen kleinen Kronen stets zu er- 
halten. Freilich fehlten ihm der kühne Wagemut und der weite staats- 
männische Blick des Vorgängers; er ließ die Dinge gern an sich kommen 
und hegte nicht wie jener den Ehrgeiz, auf die Leitung der gesamten 
preußischen Politik einzuwirken, obgleich er als der bedeutendste Kopf des 
Ministeriums klar erkannte, wie gemächlich die Mittelmäßigkeit in den 
anderen Departements sich wieder einzunisten begann. Wenn sein ge-
	        
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