418 IV. 7. Das Junge Deutschland.
von Fritzlar, die singenden Schiffer im sonnigen Rheingau, die Wanderer
auf den Felsen von St. Goar spielen mit, und, glücklicher noch als die
junge Welt, in ihrer Frankfurter Erkerstube die alte Frau Rat, „die alles
zur Freude bewegt, bloß weil sie mit Kraft genießt.“ Mochten die Philister
den Kopf schütteln, wenn das fünfzigjährige Kind im tollen Übermute
des Brentanobluts manchmal ein Rad schlug oder wie ein Irrwisch daher—
flackerte: gedankenreiche Männer ergriff das Buch gerade, weil es so ganz
weiblich war, weiblicher als manche zimperliche Romane sittsamer Blau—
strümpfe. Bettinas Stärke lag, wo das Genie der Weiber immer liegt,
in der Kraft des Verstehens und Empfangens; sie wußte das und blieb
immer der Efeu, der sich am festen Stamme emporrankt. Männer-
arbeit zu tun, hat sie sich nie erdreistet; was sie später noch schrieb, erhob
nicht den Auspruch, für eine selbständige Schöpfung zu gelten, sondern
entsprang entweder der verständnisvollen Erinnerung oder der werktätigen
Menschenliebe eines reichen Herzens. Auch ihre Schwächen blieben weib—
lich und darum verzeihlich; von der halb unbewußten Gefallsucht ihres
Geschlechts hielt sie sich nicht frei, „das Kind, das nicht fragt, was da bös
sei, was da gut“, wußte sich zuviel mit seiner Natürlichkeit.
Die Zeitgenossen verglichen sie gern mit Rahel Varnhagen, und
manches war den zwei geistreichsten Frauen der deutschen Gesellschaft ge-
mein: der Sinn für das Große, der Zauber des Gesprächs und ein
ekstatischer Zug verzückter Schwärmerei. Und doch verhielten sich die beiden
zueinander wie der Rhein zur Spree. Bei der Berlinerin herrschte, wie
warm sie auch empfand, der scharfe, alle Begriffe zerfasernde Verstand
vor; das Leben der kinderlosen, vielerfahrenen Frau neben einem weit
jüngeren, eitlen und falschen Manne, der nicht von fern an sie heran-
reichte, unter einem Schwarme blasierter abgetriebener Weltmänner blieb
der Natur fremd, und darum auch ihre Sprache immer schwülstig, von der
gesuchten Künstelei großstädtischer Uberbildung angekränkelt. Bettina war
ein Kind der Sonne, halbwelschen Blutes, aufgewachsen in der freien Luft
am grünen Rheine, die Gattin eines edlen, geistvollen Dichters, die schöne
Mutter schöner Kinder, für alle Künste wunderbar begabt, ganz Phantasie
und Gemüt, so daß ihr die herzbewegenden Worte und die farbigen Bilder
von selber kamen, bei allen ihren seltsamen Nixenlaunen doch eine fromme,
tapfere, mildtätige Frau, die vor der Cholera keinen Schrecken, vor dem
Elend keinen Ekel empfand. Noch im Alter zog sie die jungen Männer an
sich und wußte aus jedem den göttlichen Funken herauszuschlagen; manchen
Sünden der Zeit hat sie ihren Zoll gezahlt, aber die anmaßende Nichtig-
keit der modischen Dichtung durfte sich nicht an sie heranwagen. Stark,
doch leider nicht günstig wirkte ihre große Natur auf den Geist des Kron-
prinzen von Preußen. Die Klarheit, die ihm fehlte, konnte er aus den
überschwenglichen Orakelsprüchen dieser Hohenpriesterin der Romantik nicht
gewinnen; und wenn sie begeistert sagte: „Nichts ist Sünde, was mit dem