Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

W. Menzel und die Jungdeutschen. 437 
und eine ebenso abgeschmackte, blasierte Heldin, die sich ihrer weiblichen 
Schamhaftigkeit als eines Vorurteils schämt und dann vor ihren Ge- 
liebten nackt hintritt, um sich mit ihm symbolisch zu vermählen, während 
sie zugleich mit einem ungeliebten Manne die Ehe eingeht; zum Schlusse 
natürlich ein Selbstmord. Und diese ekelhafte Schmutzerei ohne jeden 
Hauch kräftiger Leidenschaft, ohne ein einziges natürliches Wort. 
Ein solches Übermaß unsauberer Frechheit konnte in einem sittlichen 
Volke nicht ohne Widerspruch hingehen. Im September 1835 eröffnete 
Wolfgang Menzel in den Spalten seines Stuttgarter Literaturblattes den 
Kampf gegen das Junge Deutschland. Er zählte zu den eifrigsten Mit- 
gliedern der württembergischen Opposition, war Duzbruder von Welcker 
und vielen anderen süddeutschen Kammerrednern, hatte an der Boller 
Adresse der schwäbischen Liberalen eifrig mitgewirkt?) und sich auch der 
mißhandelten Juden oft mit Wärme angenommen; doch er hielt fest an 
seinem evangelischen Glauben und ließ sich durch die Weisheit der Zei- 
tungen nicht beirren in der Einsicht, daß Frankreich sinke, Deutschland 
steige. Als er nun aus Gutzkows Wally das undeutsche, unchristliche 
Wesen des Jungen Deutschlands klar erkannt hatte, da brach er los in 
seiner groben, hochmütigen, polternden Weise, aber mit ehrenwertem 
Mute; er mußte ja wissen, daß die Mehrzahl seiner liberalen Partei- 
genossen der Kirche halb entfremdet war und ihm seine Verteidigung des 
Christentums leicht verdenken konnte. Im Verlaufe des langen Streites, 
als ein Wort das andere gab, sprach er endlich offen aus: das vaterlands- 
lose Judentum zersetze und zerstöre alle unsere Begriffe von Scham und 
Sittlichkeit, und wenn der Pöbelwahn des Mittelalters die Juden fälsch- 
lich der Brunnenvergiftung beschuldigt hätte, so müsse die alte Anklage 
jetzt mit vollem Rechte auf dem Gebiete der Literatur erneuert werden. 
Mit moralischer Entrüstung allein lassen sich die Verirrungen der 
Kunst nicht bekämpfen. Gefährlicher als Menzels grundprosaische Sitten- 
predigten wurde dem Jungen Deutschland der ästhetische Widerspruch, der 
sich aus dem Kreise der schwäbischen Sänger erhob. 
Wo der Winzer, wo der Schnitter singt ein Lied durch Berg und Flur, 
Da ist Schwabens Dichterschule, und ihr Meister heißt Natur — 
also sang Justinus Kerner mit gerechtem Stolze. Wie die Schwaben einst 
gegenüber der phantastischen Überschwenglichkeit der Schlegelschen Romantik 
ihre protestantische Verstandesklarheit tapfer behauptet hatten, so wiesen sie 
jetzt die Künstelei des neuen Feuilletonstiles tapfer zurück und bewahrten 
sich den Wohllaut des Verses, den Adel der lyrischen Kunstformen, die 
natürliche Unschuld unverbildeter Sinnlichkeit. Ihre Muse 
Sang ein Lied nicht ohne Fehle, 
Doch vom Staub der Erde rein — 
  
*) S. o. IV. 240.
	        
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