442 IV. 7. Das Junge Deutschland.
In dem „Schwabenspiegel“, den er gegen Pfizer hinaussendete, brauchte
Heine einen anderen, ebenso wirksamen Kunstgriff. Da die beiden größten
Dichter des Südens, Uhland und Rückert, an den Kämpfen nicht per-
sönlich teilnahmen, so suchte er den Streit so darzustellen, als ob nur
die neidische Mittelmäßigkeit kleiner Poeten gegen sein eigenes überlegenes
Talent, das zimperliche Spießbürgertum des Oberlandes gegen die freie
starkgeistige Weltanschauung des Nordens sich auflehnte. In Wahrheit
kämpfte die süddeutsche Poesie gegen den jüdischen Witz. Nicht die mora-
lische Splitterrichterei, die dem lebensfrohen Volke unseres Südens allezeit
fremd war, sondern der ästhetische Widerwille führte den Schwaben die
Feder. Eine Schwäche der schwäbischen Dichter ließ sich freilich nicht ver-
kennen; wenn das Junge Deutschland völlig in der Tendenz aufging, so
standen sie den Leidenschaften des Tages allzu fern, ihre sinnige, friedliche
Dichtung vermochte die Gedanken einer gärenden und kämpfenden Zeit
nicht zu erschöpfen. Diesen Mangel wußte Heine gewandt auszubeuten;
denn die Kunst, mit Halbwahrheiten diabolisch zu spielen, war das einzige,
was er mit seinem Abgott Napoleon gemein hatte. Er schilderte die
Schwaben als eine täppisch spielende Kinderschar und brachte also einen
Teil der Lacher auf seine Seite. Die radikale Jugend vollends war durch
die Spöttereien der neuen Literatur schon ganz verwildert; sie konnte sogar
lachen, wenn Heine von den Kackstühlchen der schwäbischen Dichter sprach
oder seinen Gegner Pfizer unnatürlicher Sünden beschuldigte. Immerhin
war die Hochflut der radikalen Feuilletons schon vorüber. Die schwächeren
Talente des Jungen Deutschlands gerieten bald in Vergessenheit; die
lebensfähigen, Gutzkow und Laube, begannen in der Stille sich zu sammeln
und fühnten späterhin die Torheiten ihrer Jugend durch reifere Werke.
Gutzkow schrieb noch während seiner Haft ein Büchlein über Philosophie
der Geschichte, das, reich an hohlen Redensarten, doch schon den Anfang
seiner Selbstbesinnung bezeichnete.
Die Pariser Kolonie der Jungdeutschen aber zeigte der Welt erst ihr
wahres Gesicht, als ihre Genossen untereinander in Händel gerieten.
Börnc und Heine hatten sich nie recht vertragen, zwischen dem doktrinären
Starrsinn und der gesinnungslosen Leichtfertigkeit war keine Verständigung
möglich. Börne sprach sich darüber ehrlich aus, Heine dagegen vermied
den ritterlichen Kampf; er entledigte sich seines lang angesammelten
Grolles erst, als Börne gestorben war und der französische Republikaner
Raspail den Helden der internationalen Demokratie in schwungvoller
Leichenrede gefeiert hatte. Zum dritten Male, wie einst nach dem Tode
Schleiermachers und der Charlotte Stieglitz, bekundete das Junge Deutsch-
land sein menschliches Zartgefühl vor einem frischen Grabe. Heines Schrift
über Börne sagte wieder manche geistreiche Halbwahrheiten; der Ton war
aber so hämisch, so gemein, daß nunmehr auch die liberale Presse in Zorn
geriet. Die Konservativen und die Dichter mochte der liberale Aristo-