Preußens Verhältnis zu Rußland. 531
vom Volke mit Ehrenbezeigungen überhäuft. Als er im Jahre 1838 wieder
einmal nach Berlin kam, ernannte ihn der untertänige Magistrat zum
Ehrenbürger der Hauptstadt, was den boshaften Großfürsten Michael zu der
Außerung veranlaßte: „wenn mein Bruder seine Krone niederlegen sollte, so
kann ihn niemand hindern, in Berlin Schornsteinfeger zu werden.“ Nikolaus
bedankte sich durch eine reiche Geldspende und ließ Unter den Linden den
Russischen Palast erbauen, um vor aller Welt zu zeigen, wie heimisch er
sich an der Spree fühle. Aber bei diesem Austausch persönlicher Höf-
lichkeiten blieb es auch. Daß Preußen in der polnischen Frage mit Ruß-
land Hand in Hand ging, ergab sich von selbst aus der natürlichen In-
teressengemeinschaft der beiden Höfe. Desgleichen war es ein altbewährter
Grundsatz der preußischen Politik, die Russen am Bosporus so weit als
irgend möglich frei gewähren zu lassen. Noch zuversichtlicher als die Hof-
burg glaubte der Berliner Hof, daß die Pforte unter Rußlands freund-
licher Schirmherrschaft wieder erstarken würde, und als der Gesandte in
Konstantinopel, von Martens einmal eigenmächtig versuchte, mit den West-
mächten zusammenzugehen, erhielt er sofort eine scharfe Zurechtweisung.
In allen den Fragen hingegen, welche das preußische Interesse un-
mittelbar berührten, ging der Berliner Hof seines eigenen Weges. Der
König blieb bei seiner wohlerwogenen Meinung, daß Lord Palmerston der
eigentliche Unruhestifter in Europa sei und der friedfertige Tuilerienhof
die Unterstützung der Ostmächte verdiene; die leidenschaftlichen Klagen seines
Schwiegersohnes über die Heirat des Herzogs von Orleans ließen ihn
kalt. Diesen Ansichten seines königlichen Herrn durfte auch Ancillon nicht
zuwiderhandeln. Der erging sich wohl gern in doktrinären Betrachtungen
über das geheimnisvolle Wort: Legitimität, das man „seinem wohltätigen
Halbdunkel nicht entreißen dürfe, ganz wie man fürchten müsse, die Wurzeln
eines Baumes an das helle Tageslicht zu bringen“; aber auf diese legi-
timistischen Erörterungen ließ er sofort die höchst illegitime Behauptung
folgen: „wir dürfen Ludwig Philipp nicht mehr fragen, woher er kommt,
sondern wohin er geht, oder vielmehr, wir müssen ihm immer zeigen, wohin
er gehen soll.“ ) Preußen war ehrlich entschlossen, mit dem Julikönigtum
als einer gegebenen Tatsache zu rechnen; und seit Werther das Auswärtige
Amt übernommen hatte, blieb das Einvernehmen zwischen den beiden Höfen
mehrere Jahre hindurch ganz ungetrübt. Werther weigerte sich geradezu,
den Zaren zu unterstützen, als dieser unter heftigen Drohungen strenge
Maßregeln wider die polnischen Flüchtlinge in Paris verlangte; er meinte,
jede Nachgiebigkeit würde den Selbstherrscher nur zu neuen Torheiten
ermutigen.*“) Diese neuen Torheiten blieben gleichwohl nicht aus. Im
Jahre 1839 veranstaltete Nikolaus große Manöver an der Moskwa. Er
*) Ancillon an Maltzan, 31. Jan. 1837.
*“) Werther an Maltzan, 24. Aug., 9. Okt. 1837.
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