Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Preußens Verhältnis zu Rußland. 531 
vom Volke mit Ehrenbezeigungen überhäuft. Als er im Jahre 1838 wieder 
einmal nach Berlin kam, ernannte ihn der untertänige Magistrat zum 
Ehrenbürger der Hauptstadt, was den boshaften Großfürsten Michael zu der 
Außerung veranlaßte: „wenn mein Bruder seine Krone niederlegen sollte, so 
kann ihn niemand hindern, in Berlin Schornsteinfeger zu werden.“ Nikolaus 
bedankte sich durch eine reiche Geldspende und ließ Unter den Linden den 
Russischen Palast erbauen, um vor aller Welt zu zeigen, wie heimisch er 
sich an der Spree fühle. Aber bei diesem Austausch persönlicher Höf- 
lichkeiten blieb es auch. Daß Preußen in der polnischen Frage mit Ruß- 
land Hand in Hand ging, ergab sich von selbst aus der natürlichen In- 
teressengemeinschaft der beiden Höfe. Desgleichen war es ein altbewährter 
Grundsatz der preußischen Politik, die Russen am Bosporus so weit als 
irgend möglich frei gewähren zu lassen. Noch zuversichtlicher als die Hof- 
burg glaubte der Berliner Hof, daß die Pforte unter Rußlands freund- 
licher Schirmherrschaft wieder erstarken würde, und als der Gesandte in 
Konstantinopel, von Martens einmal eigenmächtig versuchte, mit den West- 
mächten zusammenzugehen, erhielt er sofort eine scharfe Zurechtweisung. 
In allen den Fragen hingegen, welche das preußische Interesse un- 
mittelbar berührten, ging der Berliner Hof seines eigenen Weges. Der 
König blieb bei seiner wohlerwogenen Meinung, daß Lord Palmerston der 
eigentliche Unruhestifter in Europa sei und der friedfertige Tuilerienhof 
die Unterstützung der Ostmächte verdiene; die leidenschaftlichen Klagen seines 
Schwiegersohnes über die Heirat des Herzogs von Orleans ließen ihn 
kalt. Diesen Ansichten seines königlichen Herrn durfte auch Ancillon nicht 
zuwiderhandeln. Der erging sich wohl gern in doktrinären Betrachtungen 
über das geheimnisvolle Wort: Legitimität, das man „seinem wohltätigen 
Halbdunkel nicht entreißen dürfe, ganz wie man fürchten müsse, die Wurzeln 
eines Baumes an das helle Tageslicht zu bringen“; aber auf diese legi- 
timistischen Erörterungen ließ er sofort die höchst illegitime Behauptung 
folgen: „wir dürfen Ludwig Philipp nicht mehr fragen, woher er kommt, 
sondern wohin er geht, oder vielmehr, wir müssen ihm immer zeigen, wohin 
er gehen soll.“ ) Preußen war ehrlich entschlossen, mit dem Julikönigtum 
als einer gegebenen Tatsache zu rechnen; und seit Werther das Auswärtige 
Amt übernommen hatte, blieb das Einvernehmen zwischen den beiden Höfen 
mehrere Jahre hindurch ganz ungetrübt. Werther weigerte sich geradezu, 
den Zaren zu unterstützen, als dieser unter heftigen Drohungen strenge 
Maßregeln wider die polnischen Flüchtlinge in Paris verlangte; er meinte, 
jede Nachgiebigkeit würde den Selbstherrscher nur zu neuen Torheiten 
ermutigen.*“) Diese neuen Torheiten blieben gleichwohl nicht aus. Im 
Jahre 1839 veranstaltete Nikolaus große Manöver an der Moskwa. Er 
  
*) Ancillon an Maltzan, 31. Jan. 1837. 
*“) Werther an Maltzan, 24. Aug., 9. Okt. 1837. 
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