Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Flottwell und Grolman in Posen. 557 
preußische Langmut zu Ende. Dahin waren jene hoffnungsvollen Tage, 
da die deutschen Beamten mit den polnischen Edelleuten sich in dem gast- 
freundlichen Hause des Fürsten-Statthalters harmlos zusammengefunden 
hatten. Fürst Radziwill fühlte selbst, wie gänzlich er sich über die Gesin- 
nungen seiner Landsleute getäuscht; er legte seine Statthalterwürde nieder 
und starb bald darauf. Fortan war der Oberpräsident der alleinige höchste 
Vertreter der Staatsgewalt, und auf dies wichtige Amt berief der König 
den tapferen Mann, der dem preußischen Namen in den Landen des 
weißen Adlers zuerst ein festes Ansehen verschaffen sollte. Oberpräsident 
Flottwell war in Ostpreußen geboren, zu Königsberg in der Schule von 
Kant und Kraus erzogen und hatte dann unter Schöns Leitung in der 
altpreußischen Verwaltung die Polen gründlich kennen gelernt. Aufrichtig 
sprach er aus, das alte System der Nachsicht und der Zugeständnisse 
habe sich überlebt, der Adel und der Klerus seien Preußens geschworene 
Feinde;z nicht die Liebe, nur die Achtung der Polen könne sich eine deutsche 
Regierung erwerben; dies werde ihr gelingen, wenn sie ohne Ungerechtig- 
keit die deutsche Kultur fördere und damit die menschliche Gesittung der 
Provinz hebe. Nicht frei von der Leidenschaftlichkeit seines edlen Stam- 
mes, urteilte er doch milder, billiger als sein Lehrer Schön. Er wollte 
strenge Gesetze für die meuterische Provinz, aber mit „sorgfältiger Rück- 
sicht“ auf die bestehenden Verhältnisse; denn der Mangel an einer solchen 
Rücksicht bringt die Regierung in die Lage, von den gegebenen Vorschriften 
abzuweichen und sich dadurch den gerade in dieser Provinz sehr gefähr- 
lichen Vorwurf der Inkonsequenz und Schlaffheit in der Verwaltung zu- 
zuziehen“.) Durch seinen furchtlosen Freimut hatte er sich das persön- 
liche Vertrauen des Königs und des jungen Prinzen Wilhelm erworben. 
Da alle Slawen jene beiden Tugenden, welche ihnen selbst die Natur 
versagt hat, Gradsinn und Festigkeit, mit stiller Ehrfurcht betrachten, so 
kam er im persönlichen Verkehre selbst mit den polnischen Edelleuten leid- 
lich aus, obgleich sie in ihm ihren politischen Todfeind sahen. 
Die Deutschen und die polnischen Bauern verehrten ihn als ihren 
Beschützer, und mit ihm seinen Freund, den kommandierenden General 
Grolman, der von den Polen fast noch grimmiger gehaßt wurde. Grol- 
mans freiem Heldensinne waren die Untreue und die Undankbarkeit dieser 
„unwürdigen“ Provinz ein Greuel; er konnte nicht, wie Gneisenau, mit 
vornehmer Verachtung über die krummen Wege der Sarmaten hinweg- 
blicken, er verabscheute „diese Bande der Gesetzlosigkeit, der Liederlichkeit 
und des Schmutzes“ und wollte mit dazu helfen, daß „ihre polnische 
Natur sich zu einer menschlichen ausbildets“ Was kümmerte es ihn, daß 
die Liberalen, die ihn zur Zeit der Karlsbader Beschlüsse auf den Schild 
gehoben hatten, ihm jetzt reaktionäre Gesinnung vorwarfen? Die Armee 
  
*) Flottwell an Lottum, 24. Juli 1832.
	        
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