Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

558 IV. 8. Stille Jahre. 
betrachtete ihn seit Gneisenaus Tode als ihren ersten Mann. Während 
des polnischen Aufstandes hatte man die Landwehrzeughäuser ausräumen 
und die polnischen Regimenter aus der Provinz entfernen müssen; auf 
Grolmans Rat wurde jetzt bestimmt, daß die niederschlesischen Regimenter 
des fünften Armeekorps fortan in Posen, die Posener regelmäßig im deut- 
schen Schlesien Garnison erhielten. 
Um Neujahr 1833 ging Flottwell nach Berlin, um dem Minister- 
rate die Ergebnisse seiner Beobachtungen vorzulegen. In den nächsten 
Monaten erschien dann Schlag auf Schlag eine Reihe tief einschneidender 
Verordnungen. Alle Klöster der Provinz wurden säkularisiert, die Einkünfte 
nebst einem erheblichen Zuschusse des Staats für die Schulen und die 
geistlichen Lehranstalten verwendet. Da viele Edelleute durch die Teil- 
nahme an dem Aufstande ihr Vermögen zu Grunde gerichtet hatten und 
zahlreiche Landgüter unter den Hammer kamen, so wurde dem Oberpräsi- 
denten 1 Mill. Taler zur Verfügung gestellt, um diese Güter anzukaufen 
und an „Erwerber deutscher Abkunft“ zu veräußern. Der Erfolg war 
günstig, etwa dreißig deutsche Rittergutsbesitzer kamen neu ins Land; an 
eine gründliche Auskaufung des polnischen Großgrundbesitzes, wie sie Grol- 
man dringend anriet, konnte der bedrängte Staatshaushalt freilich nicht 
denken. Die von den Kreisständen erwählten Landräte hatten sich wäh- 
rend der Revolutionszeit schlecht bewährt, manche den Aufruhr unterstützt, 
andere ihr Amt gröblich vernachlässigt; daher wurde den Kreisen das so 
übel benutzte Wahlrecht vorläufig entzogen und den Bezirksregierungen 
übertragen. 
Noch schlimmer stand es um die ländliche Polizei. Viele der adligen 
Wojts mißbrauchten ihre Amtsgewalt, um die Bauern zu bedrücken; Will- 
kür und Nachlässigkeit überall; es kam vor, daß der Wojt nicht bloß poli- 
tische, sondern selbst gemeine Verbrecher vor der drohenden Verfolgung 
vertraulich warnte. Nachdem ein vermittelnder Reformversuch keine Besse- 
rung gebracht, entschloß sich die Krone endlich (1836), durch einen radi- 
kalen Eingriff Wandel zu schaffen. Die Kreise wurden in Distrikte von 
6—9000 Einwohnern geteilt; in jedem Distrikte übernahm ein vom Ober- 
präsidenten ernannter königlicher Kommissär, unter der Aufsicht des Land- 
rats, die Polizeiverwaltung. Unter dem Distriktskommissär standen mit 
beschränkten Befugnissen die kleinen Ortsobrigkeiten. Den Schulzen er- 
wählte in den Dörfern, welche die bäuerlichen Lasten noch nicht abgelöst 
hatten, der Gutsherr, in den bereits regulierten Ortschaften die Gesamt- 
heit der selbständigen Grundbesitzer; denn Flottwell wußte, daß der pol- 
nische Bauer seit Jahrhunderten gewöhnt war, in dem adligen Pan seine 
Obrigkeit zu sehen, und diese Meinung erst wenn er von allen Herrendiensten 
befreit sei, aufgeben würde.) Die 130 Distriktskommissäre, meist alte Offi= 
  
— 
*) Flottwell an Brenn, 21. Juli 1832.
	        
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