Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Belgien und die Großmächte. 49 
der Minister des Innern, hielt für sicher, daß der Anblick des preußischen 
Beobachtungsheeres die Kriegslust der Franzosen steigern müsse: „Diese 
unglückliche belgische Sache verwickelt unsere Geschäfte schrecklich und stellt 
uns auf einen Vulkan. Mit der kommenden jungen Kammer und bei 
der Aufregung, welche die Möglichkeit eines Krieges hervorrufen kann, 
werden wir ein neues 1793 erleben. Ich kann Ihnen versichern, daß 
der König in dieser Hinsicht die Meinungen und Besorgnisse seines 
Ministerrates teilt.“*) 
Mittlerweile hatten sich die Brüsseler zum zweiten Male siegreich 
erhoben, ganz Belgien war im Aufruhr, die Versöhnung zwischen den 
beiden verfeindeten Nachbarstämmen erschien aussichtslos. Es ward hohe 
Zeit, daß die Großmächte sich ins Mittel legten. Nachdem das niederlän- 
dische Kabinett schon am 7. September die vier Mächte gebeten hatte, eine 
Gesandtenkonferenz nach dem Haag zu berufen, richtete Bernstorff jetzt 
(3. Oktober) die dringende Anfrage nach London: ob England nun endlich 
den rechten Augenblick zum gemeinsamen Einschreiten gekommen glaube? 
Er fragte ferner: ob es nicht vorteilhaft sei, wenn auch der Hof des Palais 
Royal mittelbar oder unmittelbar bei den Unterhandlungen mitwirkte ?) 
Obgleich Frankreich an der Begründung der Vereinigten Niederlande nicht 
teilgenommen, so war es doch auf dem Aachener Kongreß förmlich in 
die große Allianz eingetreten; ohne seine Zustimmung, das lag auf der 
Hand, ließ sich die belgische Frage nicht im Frieden beilegen. Zur 
Rechtfertigung seiner Ansicht berief sich Bernstorff auf die kriegerischen 
Leidenschaften der Franzosen, welche der Regierung selber über den Kopf 
zu wachsen drohten: „man muß ihr die Mittel gewähren, um sich ohne 
Demütigung und ohne Gefahr für sich selber aus einer sehr ernsten 
Verlegenheit zu ziehen.““7*# 
Unterdessen war das englische Kabinett bereits auf denselben Ge- 
danken verfallen. Seit einigen Tagen weilte Talleyrand als französischer 
Botschafter in London, und der alte Meister der Diplomatie, dem die 
Orleans ihre Krone verdankten, sollte ihnen jetzt auch noch eine leidliche 
Stellung in der Staatengesellschaft verschaffen, sein wechselvolles Leben 
mit einem erfolgreichen Spiele abschließen. Seiner nie versiegenden Be- 
redsamkeit konnte weder Wellington, noch der Minister des Auswärtigen, 
der beschränkte ängstliche Lord Aberdeen, widerstehen; er ward nicht müde 
zu beteuern, daß sein König weder Belgien einverleiben, noch dort einen 
Herd des Aufruhrs unterhalten wolle. Der eiserne Herzog war ent- 
zückt und lobte Talleyrands Redlichkeit ebenso warm, wie er vorm Jahre 
  
*) Schreiben Guizots (September), durch Bernstorff an Bülow mitgeteilt 
3. Okt. 1830. 
*) Verstolk von Soelen an Perponcher, Haag 7. Sept. Bernstorff, Weisung 
an Bülow 3. Okt. 1830. 
**) Bernstorff, Weisung an Bülow 20. Okt. 1830. 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. IV. 4
	        
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