Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

564 IV. 8. Stille Jahre. 
bergs, die bereits ihre Macht zu fühlen begann und an dem Dr. Jacoby 
einen schlagfertigen Wortführer besaß, hatte ihrer Schadenfreude kein Hehl. 
Schön aber war nicht der Mann, die Parteien zu beschwichtigen. Mit 
dem orthodoxen neuen Generalsuperintendenten Sartorius lebte er in 
offener Fehde, und selbst der milde, bürgerfreundliche kommandierende 
General von Natzmer mußte über den liberalen Oberpräsidenten Beschwerde 
führen, als dieser einem Landstande, der in seiner Landwehruniform er— 
schienen war, in Gegenwart eines Generals gesagt hatte: „Sie können 
den Rock des freien Mannes tragen und tragen den Rock eines 
Dieners!“ Der König gab dem beleidigten Offizierskorps Genugtuung 
durch eine Kabinettsordre und erteilte dem Oberpräsidenten einen sehr 
milden Verweis wegen seines beständig herausfordernden Betragens, 
„indem Sie sich tadelnde und verunglimpfende Urteile über die An— 
ordnungen der oberen Behörden und Äußerungen gestatten, wodurch 
der Autorität der Regierung Abbruch geschieht und gegen Ihre Absicht 
Mißvergnügen in der Provinz verbreitet wird“. Schön dankte gerührt 
für die Gnade des Monarchen und beteuerte, die Unzufriedenheit sei in 
Preußen geringer als in den anderen Provinzen.“) Nichtsdestoweniger 
fuhr er fort, auf alles, was in Berlin zustande kam, öffentlich zu 
schelten, insbesondere auf den Zollverein, der allerdings dieser abgelegenen 
Provinz wenig Vorteil brachte. Er wußte, daß der König seiner bewährten 
Treue sehr viel nachsah, und ließ es sich wohl gefallen, wenn die Liberalen 
Ostpreußens ihn als ihr Parteihaupt verherrlichten. Der altpreußische 
Freiheitsstolz, der Zorn über die Mucker und die Grenzsperre, die Unge- 
duld tatenloser Tage und die allezeit rege Königsberger Kritik wirkten 
zusammen; die alte Krönungsstadt wurde der Herd einer unmutigen, 
geistreichen, unersättlich tadelsüchtigen Opposition, die um so weiter um sich 
griff, da sie sich noch nicht im Handeln bewähren konnte. 
Die Mark erlebte einige kirchliche Wirren, als das neue Berliner 
Gesangbuch eingeführt wurde, das Werk einer theologischen Kommission, 
der auch Schleiermacher und Bischof Neander angehörten. Die Auswahl 
aus dem reichen Liederschatze der evangelischen Kirche war wohl gelungen, 
der Wortlaut der alten Gesänge nur an wenigen Stellen, welche dem 
modernen Geschmack Anstoß zu geben schienen, mit schonender Hand ge- 
ändert, und der König hoffte, die Gemeinden würden das Buch freiwillig 
annehmen. Altenstein aber versuchte wieder durch Befehle einzugreifen. 
Da nahn sich der Kronprinz des Rechtes der Gemeinden nachdrücklich an; 
er verlangte, daß den Gemeinden „ihr Schatz von Liedern, der recht eigent- 
lich ihr Eigentum sei“, erhalten bleibe: „es gibt meiner Überzeugung 
zufolge Dinge, die sich ganz von selbst verstehen und die gar keines Ge- 
*) Schöns Eingaben an den König, 11. Febr., 11. März. Kabinettsordre an Schön, 
25. Febr. 1834. Schöns spätere Erzählung (Aus den Papieren III. 125) verdunkelt den 
wirklichen Hergang. 
 
	        
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