Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

606 IV. 8. Stille Jahre. 
haften Nachrichten versorgten?), und eifrig suchten die gehetzten Flüchtlinge 
nach Verrätern im eigenen Lager. Welch ein Lärm, als ein jüdischer 
Student Lessing aus der Mark im Jahre 1835 zu Zürich ermordet wurde, 
ein gemeiner Mensch, der sich unter den Geheimbündlern umhertrieb und 
bei vielen für einen Späher galt. Die von dem Züricher Gerichte muster- 
haft schlecht geführte Untersuchung brachte kein Ergebnis. Sie erwies weder, 
daß Lessing ein preußischer Spion gewesen, noch daß er politischer Rachsucht 
zum Opfer gefallen war; manche Anzeichen deuteten vielmehr auf ein ge- 
meines Verbrechen, der Leichnam war beraubt, in der Nähe eines verrufenen 
Hauses aufgefunden worden. Trotzdem behaupteten die Schweizer Zei- 
tungen und zahlreiche Flugschriften mit der höchsten Zuversicht, die teuf- 
lischen Anschläge der preußischen Regierung lägen nunmehr klar zu Tage. 
Auch mit Frankreich geriet die Tagsatzung in Streit, als Prinz Ludwig 
Napoleon den Aufruhr in Straßburg versucht hatte und dann, zur Aus- 
wanderungnach Amerika begnadigt, gleichwohl in sein schweizerisches Schlöß- 
chen Arenenberg zurückgekehrt war (1838). Der Bürgerkönig verlangte 
sofort seine Entfernung und ließ schon Truppen an der Ostgrenze zusammen- 
ziehen. Osterreich, Preußen, Baden unterstützten Frankreichs Forderung?), 
während die Schweizer Presse wieder einmal mit Tell und Winkelried 
prahlte und den Tyrannen versicherte: „Königsblut und Bauernblut, es 
ist beides gleich rot.“ Der kluge Prätendent aber wartete gemächlich ab, 
bis diese diplomatische Zwistigkeit seinen Namen wieder in den Mund der 
Leute gebracht hatte; dann ging er nach England und erklärte der Tag- 
satzung in einem großmütigen Briefe, er wolle nicht durch längeres Ver- 
weilen die Sicherheit seiner zweiten Heimat gefährden. Also blieb das 
Verhältnis zwischen Deutschland und der Schweiz, durch die Schuld bei- 
der Teile, lange sehr unerquicklich; die deutschen Höfe zeigten übermäßige 
Angstlichkeit, die Eidgenossen wenig Treue in der Erfüllung ihrer Ver- 
tragspflichten. 
Unter den 13 000 Flüchtlingen aller Länder, die in Frankreich zu- 
sammengeschneit waren, spielten die Deutschen nur eine bescheidene Rolle, 
obgleich sie die Bildung revolutionärer Geheimbünde fast so eifrig wie die 
Polen betrieben. Als der Hambacher Preßverein in Paris durch die fran- 
zösische Regierung aufgelöst wurde, entstand sogleich der Bund der Ge- 
ächteten, der „den Hambacher Geist“ unter neuen Formen pflegen sollte. 
Er zerfiel, nach dem Vorbilde der Carbonari, in „Zelte“ von je fünf 
Mitgliedern; die Eingeweihten bildeten „den Berg“, an der Spitze des 
Ganzen stand der Pariser „Brennpunkt“. Durch die aus Paris heimge- 
kehrten Handwerker wurden auch in Berlin, Frankfurt, Mainz, in vielen 
anderen Städten Mitteldeutschlands Zelte errichtet; die preußischen Be- 
  
*) Türckheim an Frankenberg, 19. März, 16. Juli 1835. 
**) Blittersdorff an Frankenberg, 30. Juli 1838.
	        
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