Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Vierter Teil. Bis zum Tode König Friedrich Wilhelms III. (27)

Prozeß Weidig. 615 
Todfeind, obgleich er die Teilnahme an dem hoffnungslosen Frankfurter 
Attentate klüglich abgelehnt hatte, und bestellte ihm zum Untersuchungsrichter 
den Gerichtsrat Georgi, einen brutalen Mann, der nach dem Zeugnis der 
Gerichtsärzte am Delirium tremens litt. Durch die endlosen Verhöre ge- 
riet der ohnehin leidenschaftliche Angeklagte in eine fieberische Aufregung. 
Zuweilen schien er wie tobsüchtig; er sagte dreiste Unwahrheiten und be- 
nahm sich so widerspenstig, daß Georgi ihn mit Körperstrafen bedrohte; 
einmal stürzte er rasend mit einem Messer auf seinen Peiniger los. Dar- 
auf wurde er allem Anschein nach mit dem Farrenschwanz geprügelt; 
anders ließen sich die Striemen, die man späterhin an seiner Leiche ent- 
deckte, kaum erklären. Als der Gefängniswärter bald nachher, am 23. Febr. 
1837, in die Zelle tritt, findet er Weidig im Blute schwimmend, aber noch 
lebend auf dem Bette liegen. Der rohe Mensch wirft erschrocken die Tür 
zu und eilt zu Georgi. Der kommt, betrachtet sich den Jammer, befiehlt 
den Arzt zu rufen und geht von dannen. Nach anderthalb Stunden end- 
lich erscheint der Arzt, gerade als der Unselige den Geist aufgibt. Weidig 
hatte sich mit einem Glasscherben die Adern an Armen und Füßen, zu- 
letzt den Hals durchschnitten, und es blieb, wenn auch unwahrscheinlich, so 
doch denkbar, daß ihm der tödliche Schnitt erst während jener letzten andert- 
halb Stunden gelungen war. 
Ein Schrei des Entsetzens ging durch das Land; der Haß der Par- 
teien flammte auf. Manche der Liberalen versicherten, der Unglückliche 
sei durch fremde Hand ermordet worden, was nach Lage der Umstände 
rein unmöglich war. Weidigs zahlreiche Freunde und Schüler verherr- 
lichten ihn nicht nur als ein Opfer barbarischer Rechtspflege; sie behaup- 
teten auch, er habe an den Umtrieben der Verschwörer niemals teilge- 
nommen, und sie fanden Glauben bei vielen, denn nicht leicht entschließen 
sich die Deutschen zu der Erkenntnis, daß persönlich ehrenhafte Männer 
in der Politik verschlagen und gewissenlos handeln können. Wilhelm Schulz 
und Welcker bemächtigten sich des grauenhaften Falles, um die Nichts- 
würdigkeit des geheimen Verfahrens nachzuweisen. Die gesamte deutsche 
Presse geriet in Bewegung. Die Züricher medizinische Fakultät, die immer 
bereit stand, Deutschlands Blößen aufzudecken, erwies in einem Gutachten, 
Weidig sei geprügelt worden; den Leichnam selbst in Augenschein zu nehmen, 
hatte freilich keiner dieser gesinnungstüchtigen Gelehrten für nötig ge- 
halten. Auch unter den hessischen Richtern regte sich die Scham. Der 
Hofgerichtsrat Freiherr von Lepel, der weder zu den liberalen Parteimännern 
gehörte noch an Weidigs politische Unschuld glaubte, aber immer ehren- 
haft für die Unabhängigkeit der Gerichte eingetreten war, verlangte in 
einem Referate strenge Untersuchung gegen diese „höchst schuldvolle, kaum 
erklärliche Vernachlässigung, welche das Vertrauen in die Justiz notwendig 
gefährden“ müsse. Georgi erwiderte grob: „dem Gerichtspersonal wird 
wohl niemand zumuten wollen, bei einem solchen gefährlichen Individuum
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.