Prozeß Weidig. 615
Todfeind, obgleich er die Teilnahme an dem hoffnungslosen Frankfurter
Attentate klüglich abgelehnt hatte, und bestellte ihm zum Untersuchungsrichter
den Gerichtsrat Georgi, einen brutalen Mann, der nach dem Zeugnis der
Gerichtsärzte am Delirium tremens litt. Durch die endlosen Verhöre ge-
riet der ohnehin leidenschaftliche Angeklagte in eine fieberische Aufregung.
Zuweilen schien er wie tobsüchtig; er sagte dreiste Unwahrheiten und be-
nahm sich so widerspenstig, daß Georgi ihn mit Körperstrafen bedrohte;
einmal stürzte er rasend mit einem Messer auf seinen Peiniger los. Dar-
auf wurde er allem Anschein nach mit dem Farrenschwanz geprügelt;
anders ließen sich die Striemen, die man späterhin an seiner Leiche ent-
deckte, kaum erklären. Als der Gefängniswärter bald nachher, am 23. Febr.
1837, in die Zelle tritt, findet er Weidig im Blute schwimmend, aber noch
lebend auf dem Bette liegen. Der rohe Mensch wirft erschrocken die Tür
zu und eilt zu Georgi. Der kommt, betrachtet sich den Jammer, befiehlt
den Arzt zu rufen und geht von dannen. Nach anderthalb Stunden end-
lich erscheint der Arzt, gerade als der Unselige den Geist aufgibt. Weidig
hatte sich mit einem Glasscherben die Adern an Armen und Füßen, zu-
letzt den Hals durchschnitten, und es blieb, wenn auch unwahrscheinlich, so
doch denkbar, daß ihm der tödliche Schnitt erst während jener letzten andert-
halb Stunden gelungen war.
Ein Schrei des Entsetzens ging durch das Land; der Haß der Par-
teien flammte auf. Manche der Liberalen versicherten, der Unglückliche
sei durch fremde Hand ermordet worden, was nach Lage der Umstände
rein unmöglich war. Weidigs zahlreiche Freunde und Schüler verherr-
lichten ihn nicht nur als ein Opfer barbarischer Rechtspflege; sie behaup-
teten auch, er habe an den Umtrieben der Verschwörer niemals teilge-
nommen, und sie fanden Glauben bei vielen, denn nicht leicht entschließen
sich die Deutschen zu der Erkenntnis, daß persönlich ehrenhafte Männer
in der Politik verschlagen und gewissenlos handeln können. Wilhelm Schulz
und Welcker bemächtigten sich des grauenhaften Falles, um die Nichts-
würdigkeit des geheimen Verfahrens nachzuweisen. Die gesamte deutsche
Presse geriet in Bewegung. Die Züricher medizinische Fakultät, die immer
bereit stand, Deutschlands Blößen aufzudecken, erwies in einem Gutachten,
Weidig sei geprügelt worden; den Leichnam selbst in Augenschein zu nehmen,
hatte freilich keiner dieser gesinnungstüchtigen Gelehrten für nötig ge-
halten. Auch unter den hessischen Richtern regte sich die Scham. Der
Hofgerichtsrat Freiherr von Lepel, der weder zu den liberalen Parteimännern
gehörte noch an Weidigs politische Unschuld glaubte, aber immer ehren-
haft für die Unabhängigkeit der Gerichte eingetreten war, verlangte in
einem Referate strenge Untersuchung gegen diese „höchst schuldvolle, kaum
erklärliche Vernachlässigung, welche das Vertrauen in die Justiz notwendig
gefährden“ müsse. Georgi erwiderte grob: „dem Gerichtspersonal wird
wohl niemand zumuten wollen, bei einem solchen gefährlichen Individuum