684 IV. 10. Der Kölnische Bischofsstreit.
Die alte Beamtenregierung genügte nicht mehr. In derselben Zeit, da
sie durch das Eisenbahngesetz noch einmal ihre alte Geschäftstüchtigkeit be-
währte, zeigte sie sich ängstlich gegenüber den welfischen Gewalttaten, völlig
ratlos gegenüber der römischen Kirche. Am Ausgange eines Jahrzehntes,
das der Friedenspolitik und den Zollvereinsplänen der Krone Preußen so
viel verdankte, wurde unter den Freunden schon wieder die Besorgnis
laut, ob dieser Staat auch auf festen Füßen stehe; die Gegner aber scharten
sich zu einer geschlossenen Partei, um alles wieder in Frage zu stellen,
was die lebendigen Kräfte deutscher Geschichte in zwei Jahrhunderten ge-
schaffen hatten.
Inmitten der Wirren des Aufruhrs von 1831 hatte der neue Papst
Gregor XVI. den heiligen Stuhl bestiegen. Solange er regierte, mußte
er mit seinen fremden Söldnern und mit dem Landsturme der klerikalen
Partei, den Zenturien der Sanfedisten beständig auf der Wacht stehen, um
das Hausgut Petri vor den Anschlägen der patriotischen Verschwörer zu
behüten. Seit lange her stand der Kirchenstaat in dem Rufe, daß er die
schlechteste aller Regierungen Europas besitze, und noch niemals hatte er
diesem Rufe so vollkommen entsprochen wie jetzt, da die heißblütigen
Romagnolen schon den alten Geusenruf wiederholten: lieber türkisch als
päpstlich. Als Papst, wie früherhin als General der Camaldulenser, führte
Gregor das Leben eines vornehmen Mönches; beim Gelage unter den
geistlichen Amtsbrüdern konnte der häßliche Mann mit den wurlstigen
Lippen und dem großen Fistelgeschwür auf der roten Nase fast liebens-
würdig erscheinen, wenn er seiner satirischen Laune freien Lauf ließ. Auch
seine Weltanschauung blieb mönchisch; noch schroffer und härter als seine
beiden Vorgänger trat er der weltlichen Gewalt entgegen. Während der
ersten Jahre ließ er sich durch die behutsamen Ratschläge des Staats-
sekretärs Bernetti, der noch aus Consalvis staatskluger Schule stammte,
zuweilen etwas zügeln. Aber im Januar 1836 erhielt Bernetti seine Ent-
lassung, und sein Nachfolger wurde Kardinal Lambruschini, das Haupt
der „Eiferer“, der genuesischen Partei im Kardinalskollegium, ein Priester
von strengem Wandel, herrisch, leidenschaftlich, schonungslos, unbeugsam
in den Grundsätzen des harten Papalsystems. Er hatte einst als Nuntius
in Paris bei dem Staatsstreiche Karls X. mitgeholfen und selbst durch
den Sturz der Bourbonen nichts gelernt. Unterdessen war der Nieder-
länder Roothaan an die Spitze der Gesellschaft Jesu getreten, der fähigste
aller Jesuitengenerale seit den Zeiten Aquavivas, ausgezeichnet durch Ver-
schlagenheit, Welt= und Menschenkenntnis, rastlosen Tatendrang. Seit-
dem ließ sich die unterirdische Wirksamkeit der Jesuiten in allen Staaten
verspüren. Auch in Preußen; denn obwohl den preußischen Untertanen
seit dem Jahre 1827 der Besuch auswärtiger Jesuitenschulen verboten
war, so wußte doch am Rhein wie in Posen jeder Kundige, daß viele der
preußischen Theologen, welche die Universität München bezogen, dort plötz-