XX. Preußen und das Bundeskriegswesen 1831. 741
schehenen zu gewinnen. Wer die neue oder gar den unübersehbaren Stoff der neuesten
Geschichte behandelt, verrichtet seine schwerste Arbeit, bevor er zu schreiben anfängt, un—
bemerkt von der Mehrzahl der Leser; er muß den Wust seiner Aktenstücke so lange durch-
denken, bis er das Große von dem Kleinen zu unterscheiden vermag und genau weiß,
was aus dem Durcheinander diplomatischer Einfälle, Ränke und Seifenblasen der histo-
rischen Mitteilung würdig sei. Versuchen wir den rechten Abstand von dem Bilde zu
gewinnen, so erscheint der Verlauf jener Verhandlungen über einen möglichen Bundes-
krieg ziemlich einfach, ihr historisches Ergebnis nicht sehr erheblich.
Die deutsche Kriegsverfassung vom Jahre 1821 war ein unter Osterreichs stiller
Beihilfe errungener Triumph der Mittelstaaten; sie gewährte der Eitelkeit der kleinen
Höfe die Genugtuung, daß sie selbst auf dem Papiere mehr Bundestruppen stellten als
jede der beiden Großmächte: vier Korps mit 120 000 Mann, während Osterreich nur
drei Korps mit 97 000 Mann, Preußen auch nur drei mit 80 000 Mann zu stellen hatte.
An die Spitze dieses Bundesheeres sollte in Kriegszeiten ein vom Bundestage ernannter
Bundesfeldherr treten, der, wie die Stimmen in Frankfurt standen, nur ein Oster-
reicher oder vielleicht ein kleiner Prinz, aber unmöglich ein Preuße sein konnte. An
die förmliche Beseitigung dieser aberwitzigen Vorschriften dachte niemand, am wenigsten
der preußische Hof; denn schon seit dem Anfang der zwanziger Jahre befolgte Graf Bern-
storff den wohlerwogenen Grundsatz, daß alle gemeinnützigen Maßregeln für Deutsch-
lands Sicherheit und Wohlfahrt nicht durch den Bund, sondern durch Verabredungen
der Einzelstaaten bewirkt werden müßten. Aber auch an die Ausführung der Kriegs-
verfassung ließ sich nicht denken; vielmehr bestand an allen Höfen der stillschweigende
Entschluß, im Kriegsfalle nach den Umständen zu handeln und über jene leeren Para-
graphen hinwegzusehen. Jedermann wußte, daß Preußen durch jede Bedrohung des
Bundesgebietes in seinem eigenen Dasein gefährdet und mithin gezwungen wurde, seine
gesamten neun Armeekorps, das Dreifache seines Bundeskontingents, auf den deutschen
Kriegsschauplatz zu werfen, während Osterreich und die Kleinstaaten vielleicht nicht ein-
mal das wenige leisten konnten, was ihnen das Bundesgesetz vorschrieb.
Als nun die Juli-Revolution den Deutschen Bund mit Krieg bedrohte, da hielten sich
die kleinen Höfe gegenüber den geheimen Lockungen der französischen Diplomatie allesamt
ganz untadelhaft, die einen weil sie deutsch dachten, die anderen weil sie die Revolution
haßten. Viel mehr als löbliche Gesinnungen hatten sie dem Vaterlande freilich nicht
zu bieten. Südlich von Mainz und Würzburg gab es keine Festung, weil der Bundes-
tag sich über die oberländischen Bundesfestungen nicht hatte einigen können; das weite
Gebiet vom Böhmerwalde bis zum Oberrhein lag jedem Angriff offen, und die süd-
deutschen Truppen waren durch die Sparsamkeit der Landtage so arg verwahrlost, daß sie
damals unzweifelhaft noch weniger geleistet hätten als in dem Mainfeldzuge von 1866.
Mit dem österreichischen Heere stand es kaum besser; die Rüstungen dort schritten sehr
langsam vor, und bei der unheimlichen Gärung in Italien ließ sich schwer absehen, wie
viele Truppen die Hofburg für den Schutz des deutschen Südwestens übrig behalten
würde. In solcher Lage waren die süddeutschen Höfe gern bereit, sich nötigenfalls durch
Preußen retten zu lassen; sie besprachen sich vertraulich mit den preußischen Gesandten
über mögliche gemeinsame Rüstungen. Preußen versuchte nun zunächst den Wiener Hof
vorwärts zu treiben; dort herrschte jedoch eine tiefe Entmutigung, die erst im Herbst
1831, nach dem Falle Warschaus, einer frischeren Stimmung weichen sollte. Metternich
versprach, den Fürsten Schönburg, den Gesandten in Stuttgart, Zzu näheren Verhand-
lungen an die süddeutschen Höfe zu senden; aber Schönburg blieb seit dem November
1830 monatelang untätig in Wien.
Da beschloß man zu Berlin, den Vortritt zu übernehmen, und sendete im Dezember
den General von Röder in die Hofburg. Im Januar 1831 überreichte der General seine
militärischen Vorschläge (politische Aufträge hatte er nicht). Preußen erklärte sich bereit,
gegebenen Falles mit seiner ganzen Macht in den Krieg einzutreten, und verlangte, daß