128 V. 2. Die Kriegsgefahr.
Verständnis für das geistige Leben der Nation, eine Teilnahme, die aller-
dings nicht in die Tiefe ging; denn Prinz Albert war, wie alle Koburger,
ohne warmes religiöses Gefühl, eine schwunglose prosaische Natur, die
sich leicht daran gewöhnte, nach englischer Weise alles very interesting
zu finden; er hatte sich zu Brüssel tief eingelebt in die mechanische Welt-
anschauung des Statistikers Quetelet, der alle Erscheinungen des sozialen
Lebens, auch die sittlichen, aus dem Walten blinder Naturgesetze erklärte.
Das Kunstgewerbe stand ihm höher als die Kunst, die Technik höher als
die Wissenschaft, das Merkwürdige höher als das Ideale. Den eigen-
tümlich trockenen Ton dieses sittsamen Hofes gaben späterhin Victorias
„Blätter aus unserem Leben in den Hochlanden“ getreulich wieder, unbe-
streitbar das langweiligste unter den vielgenannten Büchern des neunzehn-
ten Jahrhunderts.
Der Prinz betrachtete, gleich seinem Oheim Leopold, den Oranier
Wilhelm III. als sein Muster, und obwohl er weder die Macht noch das
Genie seines Vorbildes besaß, so wirkte er doch auf die Entwicklung der
englischen Verfassung nachhaltig ein. Er gewöhnte die Krone, ohne Wider-
spenstigkeit und unter Wahrung der äußeren Würde die neutrale Stellung
einzunehmen, welche ihr nach dem Verlaufe der Geschichte dieses Landes
allein noch zukam: die Stellung nicht über, sondern unter den Parteien.
Als er nach England kam, fand er die Whigs noch am Ruder und die
Königin ernstlich gewillt, die Freunde ihrer Jugend im Besitze der Macht
zu erhalten. Albert selbst stand als Fremdling den Parteien unbefangener
gegenüber und wurde von seinem getreuen Stockmar dringend ermahnt,
sich diese Freiheit zu erhalten. Als nun die Whig-Regierung bald nach
ihrem letzten Erfolge, dem Meerengenvertrage rettungslos zusammen-
brach, da war er es, der die Königin bewog, den jetzt unvermeidlichen
Torys mit Wohlwollen entgegenzukommen und selbst die Damen ihrer
Umgebung aus den Reihen der herrschenden Partei zu wählen. In späteren
Jahren trug er sich mehrmals mit der Absicht, die Macht der Krone zu
verstärken, den persönlichen Willen des Monarchen nach deutscher Weise
zur Geltung zu bringen. Sobald er jedoch die Unmöglichkeit solcher
Pläne erkannte, gab er seiner Gemahlin den Rat, jedes Ministerium,
das der Mehrheit im Parlamente sicher sei, ohne Hintergedanken zu unter-
stützen. Der Rat wirkte, und die Krone ward nach und nach so an-
spruchslos, daß die Königin nicht einmal mehr wagte, bei der Wahl der
Personen für das Kabinett mitzureden, sondern dem leitenden Staats-
manne der Mehrheit des Unterhauses die Bildung der neuen Regierung
stets unbeschränkt überließ.
Fortan herrschte Eintracht zwischen Krone und Parlament, während
die früheren Könige des Welfenhauses unwillkommene Minister immer durch
kleine Bosheiten zu schädigen gesucht hatten; und es ergab sich, daß eine
klug beratene Frau die Rolle eines parlamentarischen Schattenkönigs fast