Das englische Musterkönigtum. 129
noch besser zu spielen vermag als ein Mann. Denn eine Fürstin darf, ohne
Ärgernis zu erregen, mit der naiven Unbescheidenheit der Weiber alles, was
unter ihrem Namen geschieht, für ihr eigenes Werk ausgeben, und die Galan—
terie der Männer gestattet den Frauen, jederzeit über unverstandene Dinge
zuversichtlich abzusprechen. Von diesen beiden Vorrechten ihres Geschlechtes
machte Königin Victoria ausgiebigen Gebrauch. Sie sprach geläufig über
alle Einzelheiten der Verwaltung, erzählte dem ironisch, aber ehrfurchtsvoll
zuhörenden General Natzmer mit der größten Bestimmtheit von den Ver—
besserungen, welche sie im Heerwesen eingeführt habe, und ließ sich gern eine
andere Elisabeth nennen, obschon die Welfin mit der minder tugendhaften,
aber großen Tochter des Hauses Tudor eigentlich nichts gemein hatte als den
weiblichen Eigensinn. Also lernte das Königtum durch den Prinzgemahl,
seine Nichtigkeit mit Anstand zu ertragen; dafür ward der Trägerin der
Krone überall mit Worten tiefster Ergebenheit gehuldigt. Die Phrase
der Untertänigkeit, constitutional cant der Briten blühte wie nie
zuvor; wer aufrichtig genug war, die junge Königin nicht schön zu finden,
lief Gefahr, von der vornehmen Welt für toll gehalten zu werden.
Ein solches Schauspiel inneren Friedens mußte gerade die gemäßigten
deutschen Liberalen mit Bewunderung erfüllen; enttäuscht durch das Ränke-
spiel des Juli-Königtums begannen sie sich von den französischen Freiheits-
gedanken der dreißiger Jahre abzuwenden und fanden nunmehr in dem
Staate der Königin Victoria das konstitutionelle Ideal verwirklicht. Nur
wenige bemerkten, wie der aristokratische Unterbau des altenglischen Par-
lamentarismus seit der Reformbill zerbröckelte, wie die Entscheidung im
Unterhause allmählich in die Hände der Schotten und der Iren kam,
und also neue demokratische Umgestaltungen sich vorbereiteten. Zugleich
erlebte Großbritannien eine Zeit beispiellosen wirtschaftlichen Aufschwungs.
Sein Gewerbefleiß erstarkte dermaßen, daß er sich nunmehr zutraute, alle
Märkte der Welt zu beherrschen, und darum das Banner des Freihandels
aufpflanzte. Eine gewaltige Auswanderung eroberte ihm weite Kolonien,
welche, selbst wenn sie die politische Herrschaft des Mutterlandes vielleicht
dereinst abschüttelten, doch seiner Gesittung unverloren blieben und also
dem angelsächsischen Volkstum einen großen Vorsprung vor dem teuto-
nischen sicherten; nicht lange, so lag in jedem Winkel des Erdballs ein
Land, das die glückhaften Namen Victoria und Albert führte. Befangen
in ihren Parteikämpfen und ihrer nachbarlichen Eifersucht beachteten die
Völker des Festlandes kaum, wie also in aller Stille das größte Reich
der Weltgeschichte heranwuchs. Ja die deutschen Anglomanen pflegten Eng-
land als eine musterhaft friedfertige Macht zu preisen, die in ihrer Harm-
losigkeit mit einem kleinen Söldnerheere auskomme; und doch war dies neue
Karthago der einzige Staat Europas, der beständig, häufiger sogar als
Rußland, Kriege führte, freilich Kriege, in denen das Gold noch mehr
bedeutete als das Eisen.
v. Treitschke, Deutsche Geschichte. V. 9