Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

140 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
Ihm entging nicht, wie nahe sich ihre Gedanken mit Schöns Woher und 
Wohin? berührten, und da er den alten Freund noch immer zartfühlend 
schonen wollte, so schrieb er ihm vertraulich: der Verfasser solle unver— 
folgt bleiben, falls Schön ihn dem Monarchen nenne und seine Straflosig- 
keit verlange. Doch mittlerweile hatte Jacoby im Bewußtsein seiner Un— 
fehlbarkeit selbst die Flugschrift an den König gesendet, sich als Verfasser 
bekannt und sein Büchlein geradezu unter den Schutz der Krone gestellt. 
Dies nahm Friedrich Wilhelm für eine absichtliche Beleidigung, weil die 
scharfen Vorwürfe, persönlich überreicht, ihm noch schärfer klangen. Um 
sich nicht zu übereilen, berief er einige „Doktoren der Rechte“ zu sich — 
ein Titel, dem er hohen Wert beilegte — und erst, als diese sich für 
die Einleitung eines Strafverfahrens aussprachen, gab er Schön zu wissen, 
er habe „Jacobys Herausforderung angenommen“. Nunmehr blieben alle 
Fürbitten des liberalen Oberpräsidenten vergeblich. Die Untersuchung 
nahm ihren Anfang, der Bundestag verbot, auf Preußens Antrag, den 
Vertrieb der Schrift, die gleichwohl in aller Händen war; der Königs- 
berger aber gewann, ohne alle Opfer und Leiden, die Stellung des po- 
litischen Märtyrers, welche solchen Rechtsfanatikern besonders zusagt und 
ihre Macht verstärkt. 
Sehr tief wurmte den König, daß die Königsberger Judenschaft ihren 
beherzten Wortführer auf den Schild hob. „Getaufte Juden“, schrieb er 
an Schön, „zähle ich nicht zu meinen Ostpreußen. Das ist ein wahrer 
Trost für mich. Machen Sie nur, daß unbeschnittene Männer von alter 
Treue und die ein Herz zu mir haben, die Schmach gut machen, welche 
die Beschnittenen Ostpreußen angetan.““) In solchem Tone bekundete 
er fortan immer seinen Judenhaß; seine heftigen, der Würde des König- 
tums wenig geziemenden Außerungen wurden von der mächtig angewach- 
senen Schar der israelitischen Zeitungsschreiber emsig umhergetragen und 
erweckten in der gesamten Judenschaft eine unauslöschliche Rachgier, 
welche den Ruf seiner Regierung noch schwer schädigen sollte. 
Jacobys Schrift wurde an alle Provinziallandtage versendet, sie 
fand aber dort voxerst nur wenig Anklang; denn die Stände traten über- 
all in gehobener Stimmung zusammen. Durch die herzliche Sprache und 
die reichen Gewährungen seines Propositionsdekrets gewann der König das 
allgemeine Vertrauen für kurze Zeit wieder. Um seinen getreuen Pro- 
vinzialständen zu beweisen, wie ernstlich er sie ehre, welchen Wert er 
auf das Ersprießliche ihrer Wirksamkeit lege, gestattete er ihnen, ihre Pro- 
tokolle zu veröffentlichen, und verhieß, sie fortan regelmäßig aller zwei Jahre 
zu berufen. Für die Zwischenzeit sollten aus allen Landtagen Ausschüsse 
gewählt werden, damit der Monarch sich „ihres Rates bedienen und 
ihre Mitwirkung in wichtigen Landesangelegenheiten stattfinden lassen“ 
  
*) König Friedrich Wilhelm an Schön, 23. 28. Febr., an Thile, 28. Febr. 1841.
	        
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