Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Rochows Entlassung. 163 
liebevollen Briefe: er hätte erfahren, daß Rochow seiner Gesundheit 
halber auszutreten wünsche, und könne ihn nur unter Tränen scheiden 
sehen. „Ich habe“, so fuhr er fort, „den kalten Verstand zu Hilfe rufen 
müssen, und Sie wissen, lieber Freund, daß er nicht immer kommt, wenn 
ich ihn rufe. Er ist aber diesmal gottlob gekommen, und jetzt — 
billige ich Ihre Wünsche Es muß notwendig so eingerichtet 
werden, daß auch die Bosheit nicht behaupten könne, Sie würden Schön 
zum Opfer gebracht. Wenn Sie kurz nach Schöns Abgang Ihre Stel— 
lung verändern, so ist dies politisch gut und ersprießlich.“ Dann ließ er 
ihm die Wahl zwischen mehreren hohen Ämtern. Fünf Tage nachher 
sendete Rochow das ihm also aufgezwungene Entlassungsgesuch ein. Er 
fühlte sich tief verletzt durch die freundschaftlichen Worte, die ihm unter 
solchen Umständen fast wie Heuchelei erscheinen mußten, und sagte in seinem 
Begleitschreiben sehr deutlich, daß er die Gründe seines Sturzes wohl erraten 
hatte. Die schwierige Stellung, so schrieb er, ist unter den seit 1840 ein— 
getretenen Verhältnissen nur dann auszufüllen, wenn den Minister „der 
Besitz des Einverständnisses, des offenen Vertrauens und des Schutzes 
seines Souveräns dazu befähigt, einen bestimmt bezeichneten Weg konse— 
quent und mit frischem Mute zu verfolgen.“ Das Gesuch ward genehmigt, 
und zugleich verfügte der König, daß Rochow, da er kein anderes Amt 
annahm, den Sitz im Ministerium wie im Staatsrate behalten solle.) 
Auch diese Befehle wurden vorläufig noch streng geheim gehalten; 
und so konnte das Seltsame geschehen, daß Rochow, der seinen Abschied 
bereits in der Tasche hatte, noch über die Schrift des ebenfalls schon ent- 
lassenen Schön sein Gutachten abgeben mußte. Im Juni wagte der König 
endlich abzuschließen; am 3. wurde Schöns, am 13. Rochows Entlassung 
veröffentlicht; Schön erhielt die Würde eines Burggrafen von Marienburg, 
verlor aber seinen Sitz im Staatsministerium. So lagen denn beide 
Gegner am Boden, obschon beide noch bis zuletzt auf eine günstige Wen- 
dung gehofft hatten; und keine Partei wußte recht, ob sie klagen oder 
jubeln sollte. Zufrieden waren vorerst nur die Klerikalen, weil Schön und 
Rochow beide für Vertreter der alten harten Kirchenpolitik galten. Sehr 
bald zeigte sich jedoch, daß die wunderliche Entscheidung nur den Liberalen 
Schaden brachte. Als Nachfolger Schöns wurde Geh. Rat Bötticher 
berufen, ein tüchtiger Jurist, der sich in hohen Richterstellen bewährt 
hatte, in der Verwaltung aber nur wenig leistete und unter den Ost- 
preußen niemals ein gesichertes Ansehen erlangte; seine hochkonservative 
Gesinnung war allbekannt, und der König sprach bei seinem nächsten Be- 
suche auf Marienburg öffentlich aus, daß er ihn nur deshalb zum Ober- 
präsidenten ernannt hätte. Die Stelle des kommandierenden Generals er- 
  
*) König Friedrich Wilhelm an Rochow, 9. April; zwei Eingaben Rochows an 
den König, 14. April; Thiles Bericht an den König, 24. April 1842. 
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