Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Trinkspruch des Erzherzogs Johann. 177 
Hofburg dagegen galt er für verdächtig; das alte grundlose Märchen, daß 
er in den napoleonischen Tagen sich ein Alpenkönigreich Rhätien hätte 
schaffen wollen, fand dort noch immer Glauben. Seit Jahren lebte er 
dem Hofe fern in der Steiermark, ein rüstiger Landwirt und Gemsjäger, 
mit vielen Gelehrten und Künstlern befreundet, eifrig bemüht um die 
wissenschaftlichen Sammlungen der steirischen Hauptstadt. Er sah aus 
wie ein schlichter Bauersmann, und die seinem Hause eigentümliche Kunst 
der gemütlichen Anbiederung verstand er aus dem Grunde; auch wußte 
man, daß er sich unter Freunden zuweilen mit dem Unmute des gebil- 
deten Mannes über die Torheiten der k. k. Zensur äußerte. So gelangte 
er unverdientermaßen in den Ruf eines Oppositionsführers; noch lauter 
ward seine Freisinnigkeit gepriesen, als er sich in die Tochter eines ein- 
fachen Posthalters verliebte und dies wackere Kind heimführte, denn der 
gefühlvolle Liberalismus jener Tage schwärmte für Mißheiraten ganz so 
treuherzig wie die Putzmacherinnen und die Ladenmädchen. Auf den 
Trinkspruch des Königs dankte der Erzherzog tiefgerührt und schloß etwa 
also: „Solange Preußen und Osterreich, solange das übrige Deutsch- 
land, soweit die deutsche Zunge klingt, einig sind, werden wir unerschütterlich 
dastehen wie die Felsen unserer Berge.“ Wunderbar war die Wirkung 
dieser unschuldigen Worte; den Zeitgenossen schien es ganz unerhört, daß 
ein Erzherzog in Gegenwart Metternichs, und mit den Worten des ver- 
femten Arndtschen Vaterlandsliedes die Einigkeit Deutschlands gepriesen 
hatte. Sofort wurde der alte Herr ein berühmter Mann; die Zeitungen 
versicherten, er hätte gesagt: kein Österreich, kein Preußen mehr! ein 
einig Deutschland hoch und hehr, ein einig Deutschland fest wie seine 
Berge! In Nationen, die einer großen Entscheidung entgegenzittern, 
walten die Kräfte der Mythenbildung mit rätselhafter Stärke; sie 
warfen sich jetzt auf den Osterreicher und gestalteten ihn zu einem volks- 
tümlichen Helden, ganz wie die Italiener sich bald nachher ein phanta- 
stisches Idealbild von dem liberalen Papste Pius IX. aufbauten. Der 
neckische Humor der Weltgeschichte war damit noch nicht erschöpft; die 
Zeit sollte kommen, da Erzherzog Johann zur Belohnung für einen Trink- 
spruch, den er so nicht gehalten, an die Spitze der deutschen Nation 
berufen wurde. 
Nach dem Brühler Festmahle rastete Friedrich Wilhelm eine Weile 
auf seinem Stolzenfels. Dann ging er nach Trier, wo ihn die alten 
Erinnerungen wieder zu einer Rede begeisterten. Als er darauf nach Saar- 
brücken, an die äußerste Westgrenze seines Reiches kam, da stieg das Bild 
der fernen Ostmark vor seiner Seele auf, das Bild der anderen Grenzstadt, 
wo er erst vor zwei Monaten, von Rußland heimkehrend gelandet war. 
Für dies Memel hegte er stets eine Passion, wie er sagte; dort waren 
ihm einst frohe Knabentage vergangen, dort hatte er so oft am Strande 
geträumt, wenn die Dünenreihe der Nehrung im geheimnisvollen 
v. Treitschke, Deutsche Geschichte V. 12
	        
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