Friedrich Wilhelm in Neuenburg. 181
Auch der König von Preußen nahm an dem Werke der Barmherzigkeit
freudig teil. Er half durch seine Truppen die Ordnung aufrecht halten,
schickte den Oberpräsidenten Flottwell hinüber, um selbst nachzusehen, wo
Hilfe not täte, spendete, wie die meisten anderen deutschen Fürsten ein großes
Geldgeschenk, ließ überall in seinem Staate eine Haus- und Kirchenkollekte
veranstalten, weil er glaubte, daß seine Preußen diese Not „als gemein—
same Not empfinden würden“, und da die vom Bundestage so oft ver—
folgte Buchhandlung von Hoffmann und Campe durch den Brand schwer
gelitten hatte, so erlaubte er, daß ihre Verlagswerke, die in Preußen erst
kürzlich wieder in Bausch und Bogen verboten worden waren, fortan frei
umlaufen durften. Diese Gnade rechnete man ihm hoch an, weil sie der
liberalen Sache zu gute kam, und nur wenige bedachten, welch eine Willkür
doch in solcher Gemütlichkeit lag.
Vom Rhein reiste der König zu seinen treuen Neuenburgern, die ihm
vor kurzem jubelnd gehuldigt und dafür die altherkömmliche Zusage er-
halten hatten, daß er die Landschaft nie veräußern, ihre Rechte allezeit
wahren würde. Mit allem monarchischen Pomp empfing der Kanton
seinen Fürsten; die Glocken läuteten, auf den Triumphbogen wehten preu-
ßische und neuenburgische, nur selten ein schweizerisches Banner. Die
amtliche Welt dachte durchaus royalistisch, vom jüngsten Leutnant bis hin-
auf zu Baron Chambrier, dem einflußreichsten Manne des Fürstentums;
auch die Massen bekundeten lebhafte Freude, denn die im stillen ange-
wachsene, aber noch führerlose radikale Partei hielt sich scheu zurück. So emp-
fing der König die allergünstigsten Eindrücke und sagte oft: auf keine meiner
Untertanen bin ich so stolz. Er ahnte nicht, wie bald das Schicksal ihn
fragen sollte, ob er der Mann sei, diesen Getreuen seinen Eid zu halten. —
Während aller dieser Reisen beschäftigte den König fortwährend die
Ausbildung der seinem Herzen so teuren ständischen Institutionen. Be-
glückt durch den friedlichen Verlauf der letzten Landtage, hatte er bereits
im Frühjahr die Absicht ausgesprochen, die neu gebildeten ständischen
Ausschüsse, die noch in keiner Provinz ihre Tätigkeit begonnen hatten,
schon in diesem Jahre insgesamt als Vereinigte Ausschüsse nach Berlin
zu berufen. Ein zwingender Grund lag freilich nicht vor; man wußte
nicht einmal, womit sich die Ausschüsse beschäftigen sollten. Friedrich
Wilhelm fühlte sich jedoch in der Stimmung eines glücklichen Vaters,
der es nicht erwarten kann, seinen wohlgeratenen Kindern eine frohe
Überraschung zu bereiten. Als am 11. Juni das Staatsministerium
mit der ständischen Kommission zu gemeinsamer Besprechung zusammen-
trat, da zeigte sich fast jedermann ratlos. Niemand verstand recht,
was diese Ausschüsse eigentlich bedeuteten. Sie waren, wie es die Ver-
ordnung vom 22. Mai 1815 für die künftigen Reichsstände vorschrieb,
„aus den Provinzialständen gewählt.“ Waren sie nun selber die damals
verheißene Landesrepräsentation, oder sollten sie nur über Fragen, die der