Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

186 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
des Staatsschatzes und der Staatseinnahmen, bevor man sich über Finanz- 
sachen ausspräche. Niemand wollte ihm folgen, denn zur Lösung der großen 
Verfassungsfragen, die sich hier drohend ankündigten, hatte der Ausschuß- 
tag kein Recht. Viele fühlten, welch eine unglückliche Halbheit es doch war, 
wenn der Staat an den möglichsten Gewinsten der Eisenbahnen nicht 
teilnehmen, sondern nur für ihre Verluste aufkommen wollte. 
Gleichwohl wurde die Frage bejaht: ob die Regierung den Eisenbahn- 
bau mit allen ihr zu Gebote stehenden Mitteln, namentlich auch durch Zins- 
garantien fördern solle. Es war ein Notbehelf. Die Ausschüsse stimmten 
nur zu, weil sie nach der Erklärung des Ministers für jetzt auf Staatseisen- 
bahnen nicht rechnen konnten, und erwiesen ihm sodann noch die Gefällig- 
keit, diesen ganz unzweifelhaften Beweggrund ihres Beschlusses mit einer 
Mehrheit von drei Stimmen ausdrücklich in Abrede zu stellen. Da der 
Kabinettsminister General Thile wie sein Vorgänger General Lottum nach 
preußischem Soldatenbrauche in allen Geldsachen sehr genau war, so be- 
schlossen die Ausschüsse ferner: die Ausführung des Eisenbahnsystems er- 
scheine notwendig selbst unter dem Vorbehalte einer möglichen Wiederer- 
höhung der Steuern; doch zugleich baten sie den König, von diesem Vor- 
behalt abzusehen, „um nicht den wohltätigen Eindruck des Steuererlasses 
zu schwächen.“ 
So schwankten sie von einer Unklarheit zur anderen; ohne Anleihen, 
ohne Reichsstände kam dieser Staat keinen Schritt mehr vorwärts. Die 
Ostpreußen, die überhaupt am festesten zusammenhielten, zeigten sich sehr 
unwillig über die beengende Geschäftsordnung, die das Reden nur nach 
der Reihenfolge des Alphabets gestattete, und Rudolf von Auerswald gab 
der Gesinnung seiner Landsleute einen lebhaften Ausdruck. Als Graf 
Arnim zum Schluß im Namen des Königs vertraulich anfragte, ob die 
Provinzen nicht den Bau je einiger Strebepfeiler am Kölner Dome über- 
nehmen wollten, da wurde ihm in aller Ehrfurcht erwidert, es wäre wohl 
einfacher, wenn die Provinziallandtage oder ihre einzelnen Mitglieder zu 
freiwilligen Beiträgen aufforderten; eine Versammlung, der die Krone gar 
keine wirksamen Rechte zugestand, konnte doch unmöglich Geschenke be- 
willigen.) Am 10. Novbr., nach drei Wochen, wurde die Tagung ge- 
schlossen; der Erfolg war, wie der Prinz von Preußen vorausgesagt: die 
wenig fruchtbaren Verhandlungen hatten in der gärenden Zeit allerhand 
unbestimmte Hoffnungen erweckt und keine befriedigt. Zum Abschied be- 
rief der König die Ausschüsse zu sich, dankte ihnen herzlich und hielt ihnen 
alsdann in einer sonderbar lehrhaften Ansprache einen Hauptsatz der Haller- 
schen Doktrin vor: sie seien zugleich Vertreter ihrer eigenen ständischen 
Rechte und völlig unabhängige Ratgeber der Krone, also „keine Reprä- 
  
*) Berichte über die Verhandlungen der Vereinigten Ausschüsse, von Bodelschwingh 
21.—29. Okt.; von Arnim 3.—9. Nov. 1842.
	        
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