192 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
überbietend, alle Drucksachen ohne Ausnahme der Zensur unterwarfen?
Was nicht zensiert war, unterlag überall beliebigen Verboten, selbst die
zensierten Zeitungen durften nachträglich noch konfisziert werden. Sogar
vor gerichtlicher Verfolgung war der Verfasser einer zensierten Schrift nicht
immer sicher: in Kassel wurde der schreibselige alte Sonderling Friedrich
Murhard (1844) verhaftet und, den Bundesgesetzen zuwider,) zu schwerer
Strafe verurteilt wegen eines Artikels im Rotteck-Welckerschen Staats-
lexikon, der längst schon von der sächsischen Zensur gebilligt war. In
dem Thurn= und Taxisschen und anderen kleinen Postgebieten mußten die
Zeitungen auch noch fiskalische Mißhandlungen ertragen, da die Post
ihnen die Versendungskosten ganz nach Willkür berechnete.
Die Bayern rühmten sich gern, daß bei ihnen allein die Karlsbader
Beschlüsse nicht vollständig ausgeführt würden; und allerdings ließ der
Münchener Hof nach wie vor nur politische und statistische Zeitschriften
zensieren, obgleich er doch selber einst am Bundestage die Verlängerung der
Karlsbader Ausnahmegesetze durchgesetzt hatte. Indessen wußten seine Poli-
zeibehörden auch Bücher aller Art durch Verbote so handfest niederzuhalten,
daß die deutschen Nachbarn durchaus keinen Grund fanden, die Bayern zu
beneiden. Außer einigen schüchternen liberalen Blättchen in Franken ge-
diehen hierzulande nur die unschuldigen Landboten und Landbötinnen für
den Bauersmann und die Schützlinge des Ministeriums Abel, die ultra-
montanen Blätter, vom Schlage der Neuen Würzburger Zeitung und des
Fränkischen Kuriers. In beiden Zeitungen trieb Zander sein Unwesen, ein
feiler Jude, der erst zur evangelischen, dann zur katholischen Kirche über-
getreten war. Diesen Getreuen gestattete die Regierung noch immer jede
Schmährede wider Preußen; erst auf wiederholte Beschwerden des Berliner
Hofs befahl sie durch Ministerial-Erlaß, daß für jetzt, solange die Verhand-
lungen zwischen Berlin und Rom noch schwebten, „aus Rücksicht auf die
katholische Kirche“ alle Aufreizungen vermieden werden sollten. *) Eine so
sanfte Mahnung fruchtete bei den Würzburger Fanatikern wenig; und
wenn man sich in Berlin nicht die Augen verschloß, so mußte man endlich
einsehen, daß diese Partei nicht die Kirchenpolitik des alten Königs, sondern
den preußischen Staat selber bekämpfte.
Eine seltsame Ausnahmestellung nahm die Augsburger Allgemeine
Zeitung ein, die sich diplomatisch zwischen der bayrischen und der öster-
reichischen Zensur hindurchwinden mußte. Ihre beiden neuen Leiter,
die Schwaben Mebold und Kolb hatten einst als Demagogen auf dem
Hohenasperg zusammen gesessen, doch in ihren politischen Ansichten gingen
die Freunde weit auseinander. Der gelehrte Historiker Mebold betrachtete
die preußischen Dinge unbefangen. Kolb war ein feiner Kenner des gei-
*) S. o. IV. 610.
**) Werther, Verbalnote an Graf Lerchenfeld, 16. Febr.; Gise, Weisung an
Lerchenfeld, 14. März 1841.