200 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung.
aller Augen die Nagelprobe machte, dann konnten ihn Fernstehende leicht
für berauscht halten, und diese albernen Witzeleien wurden so beharrlich
umhergetragen, daß schließlich fast ganz Deutschland an die Trunksucht
des Königs glaubte.
In Königsberg wagte die Hartungsche Zeitung nunmehr offen als
Oppositionsblatt aufzutreten und gewann bald großen Einfluß auf die
Stimmung der Provinz. Jacobys Getreue Crelinger, Jachmann, Wales-
rode lieferten ihre Beiträge; der letztere fuhr zugleich fort in den „Unter-
tänigen Reden“ und anderen humoristischen Flugschriften die preußischen
Zustände durchzuhecheln. Die Zeitung schrieb über Politik nicht unver-
ständig, über kirchliche Dinge sehr höhnisch, denn die friderizianische Auf-
klärung galt ihr schlechthin für den Geist des preußischen Staates —
und immer trug sie jenen erhabenen Tugenddünkel zur Schau, der die
liberalen Volksredner allesamt auszeichnete. Als den Tagesblättern be-
fohlen wurde, amtliche Berichtigungen aufzunehmen, da erwiderte sie stolz:
dergleichen mag in Frankreich nötig sein, nicht bei uns, da „in# der
inländischen Presse gegenwärtig ein gesunder Kern ist, neben dem absicht-
liche Bosheiten und Lügen nicht bestehen können“. Auch die Schlesische
Zeitung wagte jetzt etwas lauter zu reden. Sie war vor einem Jahr-
hundert recht eigentlich unter den Flügeln des preußischen Adlers, gleich
nach der Eroberung Schlesiens entstanden und hatte sich allezeit ehren-
haft gehalten, besonnener als die jüngere Breslauer Zeitung, die sich schon
radikalen Meinungen zuneigte; gleichwohl wurde sie durch die ängstlichen
Behörden, selbst in diesem Jahre der milderen Zensur, beständig gequält,
über die russische Grenzsperre durfte sie bald gar nichts mehr sagen.
Alle anderen preußischen Blätter übertraf durch Geist und Kühnheit
die neugegründete Rheinische Zeitung. Ihre Unternehmer, lauter begabte
junge Männer, die zumeist den reichen Familien Kölns angehörten, Bür-
gers, Dagobert Oppenheim, Mevissen, Rudolf Schramm, hatten sich um
der Sache willen in fröhlicher Begeisterung zusammengeschart; sie wollten
doch sehen, wie viel die Presse wagen dürfe, auf wirtschaftlichen Gewinn
kam es ihnen nicht an; einig waren sie freilich nur in unbestimmten
liberalen Hoffnungen und in der Verehrung für die Hegelsche Philoso-
phie.“) Daher schlug der wissenschaftliche Teil des Blattes von Haus
aus einen radikalen Ton an, die Gebrüder Bauer und die anderen frechen
junghegelianischen Kritiker fanden hier ihre Verherrlichung; auch die Zeit-
gedichte des Feuilletons redeten oft sehr dreist und weissagten die nahe
Schlacht auf dem Walserfelde: „ja, es wird das Blut der Bösen in der
Guten Schuhe schießen.“ Die politischen Artikel hingegen waren meistens
frisch geschrieben, reich an guten Gedanken und keineswegs maßlos, obwohl
die jugendliche Unerfahrenheit noch überall durchbrach. Die Zeitung
*) Ich benutze hier u. a. eine Aufzeichnung des Herrn Geh. Rat von Mevissen in Köln.