Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

200 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung. 
aller Augen die Nagelprobe machte, dann konnten ihn Fernstehende leicht 
für berauscht halten, und diese albernen Witzeleien wurden so beharrlich 
umhergetragen, daß schließlich fast ganz Deutschland an die Trunksucht 
des Königs glaubte. 
In Königsberg wagte die Hartungsche Zeitung nunmehr offen als 
Oppositionsblatt aufzutreten und gewann bald großen Einfluß auf die 
Stimmung der Provinz. Jacobys Getreue Crelinger, Jachmann, Wales- 
rode lieferten ihre Beiträge; der letztere fuhr zugleich fort in den „Unter- 
tänigen Reden“ und anderen humoristischen Flugschriften die preußischen 
Zustände durchzuhecheln. Die Zeitung schrieb über Politik nicht unver- 
ständig, über kirchliche Dinge sehr höhnisch, denn die friderizianische Auf- 
klärung galt ihr schlechthin für den Geist des preußischen Staates — 
und immer trug sie jenen erhabenen Tugenddünkel zur Schau, der die 
liberalen Volksredner allesamt auszeichnete. Als den Tagesblättern be- 
fohlen wurde, amtliche Berichtigungen aufzunehmen, da erwiderte sie stolz: 
dergleichen mag in Frankreich nötig sein, nicht bei uns, da „in# der 
inländischen Presse gegenwärtig ein gesunder Kern ist, neben dem absicht- 
liche Bosheiten und Lügen nicht bestehen können“. Auch die Schlesische 
Zeitung wagte jetzt etwas lauter zu reden. Sie war vor einem Jahr- 
hundert recht eigentlich unter den Flügeln des preußischen Adlers, gleich 
nach der Eroberung Schlesiens entstanden und hatte sich allezeit ehren- 
haft gehalten, besonnener als die jüngere Breslauer Zeitung, die sich schon 
radikalen Meinungen zuneigte; gleichwohl wurde sie durch die ängstlichen 
Behörden, selbst in diesem Jahre der milderen Zensur, beständig gequält, 
über die russische Grenzsperre durfte sie bald gar nichts mehr sagen. 
Alle anderen preußischen Blätter übertraf durch Geist und Kühnheit 
die neugegründete Rheinische Zeitung. Ihre Unternehmer, lauter begabte 
junge Männer, die zumeist den reichen Familien Kölns angehörten, Bür- 
gers, Dagobert Oppenheim, Mevissen, Rudolf Schramm, hatten sich um 
der Sache willen in fröhlicher Begeisterung zusammengeschart; sie wollten 
doch sehen, wie viel die Presse wagen dürfe, auf wirtschaftlichen Gewinn 
kam es ihnen nicht an; einig waren sie freilich nur in unbestimmten 
liberalen Hoffnungen und in der Verehrung für die Hegelsche Philoso- 
phie.“) Daher schlug der wissenschaftliche Teil des Blattes von Haus 
aus einen radikalen Ton an, die Gebrüder Bauer und die anderen frechen 
junghegelianischen Kritiker fanden hier ihre Verherrlichung; auch die Zeit- 
gedichte des Feuilletons redeten oft sehr dreist und weissagten die nahe 
Schlacht auf dem Walserfelde: „ja, es wird das Blut der Bösen in der 
Guten Schuhe schießen.“ Die politischen Artikel hingegen waren meistens 
frisch geschrieben, reich an guten Gedanken und keineswegs maßlos, obwohl 
die jugendliche Unerfahrenheit noch überall durchbrach. Die Zeitung 
  
*) Ich benutze hier u. a. eine Aufzeichnung des Herrn Geh. Rat von Mevissen in Köln.
	        
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