Dahlmann. Schelling und Paulus. 227
Unter allen Neuberufenen erregte Schelling das größte Aufsehen.
Er war ausdrücklich auserwählt, um den idealen Sinn und Zweck der
neuen Regierung vor der gelehrten Welt zu vertreten; er sollte die Hegel—
schen Popularphilosophen Vatke, Hotho, Benary, Michelet, die an der
Berliner Universität noch die Lehre des Meisters in zeitgemäßer Ver—
dünnung vortrugen und bei Hofe für Verderber der Jugend galten, auf
das Haupt schlagen durch eine zugleich gläubige und streng wissenschaft—
liche Philosophie. Seine Berufung wurde zugleich Parteisache. Sogar
Humboldt, der vor zehn Jahren so bestimmt erklärt hatte, Schelling sei
der einzig mögliche Nachfolger auf Hegels Lehrstuhl, verhielt sich jetzt
kühl, fast feindselig; und unter dem Wehgeschrei der gesamten liberalen
Welt hielt der siebenundsechzigjährige Philosoph seinen Einzug in Berlin,
wo auch er nie wahrhaft heimisch werden sollte. Seit einem Menschen—
alter hatte er außer einigen akademischen Reden nichts mehr veröffentlicht,
als die wiederholte Ankündigung, daß „es jetzt ernst sei“ mit seinem so
oft verheißenen großen theosophischen Werke, und einige hochmütige Aus—
fälle gegen jüngere Philosophen, die ihm seine Ideen entwendet haben
sollten. Schweren Herzens schied er von München, das für ihn doch
der natürliche Boden war; denn er meinte sich von Gott erwählt, in
der Hochburg der Hegelschen Schule als Lehrer der Zeit aufzutreten.
Er vermaß sich, die Philosophie nicht aufzuheben, sondern zu ergänzen
durch eine bisher für unmöglich gehaltene Wissenschaft, ihr in der Offen—
barungsphilosophie eine Burg zu gründen, worin sie von nun an sicher
wohnen sollte. Und wer durfte ihm bestreiten, daß er die neue historische
Weltanschauung der Deutschen mit begründet und reich befruchtet hatte,
daß Stahl und Puchta ihre wissenschaftliche überlegenheit, einem Gans
oder Rotteck-Welcker gegenüber, gutenteils ihm verdankten?
Als er nun die Vorlesungen über die Philosophie der Offenbarung
begann, da drängte sich das gesamte gelehrte Berlin nach dem winkligen
Auditorium maximum der Universität, die meisten feindselig, viele neu-
gierig, einige in der unschuldigen Hoffnung, das größte Rätsel der Mensch-
heit gelöst zu sehen. Der Adel der Sprache, die gewaltige Zuversicht der
Rede, die sich zuweilen zu prophetischem Schwunge erhob, und manche
geniale Gedankenblitze verrieten wohl noch den alten Meister; doch zeigte
sich bald, daß die Uneingeweihten ganz recht hatten, wenn sie diese neue
Wissenschaft für unmöglich erklärten. Schelling sagte selbst: „die Offen-
barung muß etwas über die Vernunft hinausgehendes enthalten, etwas
aber, das man ohne die Vernunft doch nicht hat.“ Aus diesem tiefsin-
nigen Satze zog er jedoch nicht den Schluß, daß der Philosoph sich be-
scheiden müsse, die Grenzen des Erkennens abzustecken, und kritisch festzu-
stellen, wo die geheimnisvolle, der Vernunft nie ganz zugängliche Welt
der subjektiven, innerlich erlebten Gemütswahrheiten beginnt; er unter-
nahm vielmehr, die Offenbarung selbst vernünftig zu begreifen, womit
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