Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

264 V. 3. Enttäuschung und Verwirrung 
Wort!“ — so sagte einer der Redner des Landtags, unter jubelndem Bei- 
fall; und mancher der Rufer dachte dabei an den Citoyen der fran- 
zösischen Republik. Der Mehrzahl der Rheinländer gereichte es zu hoher 
Genugtuung, daß der Prüß ihrem hartnäckigen Liberalismus endlich doch 
so viel nachgegeben hatte; sie glaubten, dem Osten auch in ihrem Gemeinde- 
leben weit überlegen zu sein, und vernahmen nicht ohne Schadenfreude, 
wie der Monarch einigen altländischen Provinziallandtagen, die um Reform 
ihrer Landgemeindeordnungen baten, ungnädig erwiderte: er denke nichts 
zu ändern an dem geschichtlich erwachsenen Zustande „der Provinzen, 
welche das Glück gehabt hätten, daß die Grundlagen ihrer ländlichen 
Kommunalbverfassung nicht durch eine revolutionäre Gesetzgebung aufgelöst 
worden seien“. — 
Der König empfand schmerzlich, wie er die Fühlung mit seinem 
Volke nach und nach verlor. Es war ein Unheil, daß Preußen in diese 
große Krisis seines Verfassungslebens erst eintrat zu einer Zeit, da sich 
im übrigen Deutschland schon eine fertige Theorie des allgemeinen kon- 
stitutionellen Staatsrechts gebildet hatte, und je länger sich jetzt noch die 
Entscheidung verzögerte, um so höher mußten die Ansprüche der Libe- 
ralen steigen. Dennoch kam der König noch immer nicht ins reine mit 
den Verfassungsplänen, über denen er nun seit vierthalb Jahren brütete. 
Nur der Grundgedanke, die Berufung eines großen Vereinigten Landtags 
stand ihm unerschütterlich fest; über alles einzelne wußte er sich noch 
keinen Rat, und sein seltsam zerklüftetes Ministerium konnte ihm diesen 
Rat nicht bieten. Der Vorsitzende, der Prinz von Preußen erklärte sich 
entschieden gegen eine reichsständische Versammlung, die durch Steuer- 
verweigerungen die Wehrkraft, die ganze Machtstellung des Staates zu 
gefährden drohe. Aus vertraulichen Unterredungen ersah der König, daß 
er sich mit dem Bruder so leicht nicht verständigen könne, und der Thron- 
folger blieb fortan lange ohne nähere Kenntnis von den weiteren stän- 
dischen Plänen des Monarchen. Der Prinz dachte von früh auf ernst 
über die jedem Thronfolger gebotene Zurückhaltung, und niemals hätte 
er sich dazu herabgelassen, der Führer der konservativen Partei zu werden; 
dawider sträubten sich sein Fürstenstolz und seine Königstreue. Trotzdem 
konnte es nicht ausbleiben, daß alle Anhänger des alten absoluten Regi- 
ments auf ihn als ihr natürliches Haupt blickten. „Es steht“, sagte Graf 
Arnim traurig, „eine hochachtbare Überzeugung an der Spitze des Mini- 
steriums, welche es als den ihr gewordenen Beruf betrachtet, das Be- 
stehende mit der äußersten Festigkeit zu verteidigen.““) Das aufgeklärte 
Berlin, das den Prinzen bisher wenig beachtet hatte, begann nunmehr ihn 
zu beargwöhnen. Auch sein schlichtes soldatisches Wesen und die warme 
Verehrung, die ihm das Heer entgegenbrachte, schadeten jetzt seinem Rufe; 
  
*) Graf Arnim, Promemoria, 25. Mai 1845.
	        
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