20 V. 1. Die frohen Tage der Erwartung.
Macht von Roß und Reutern die Macht eines mit seinem König im
Gebet vereinten Volkes steht. . . In Sachen des Gebets zählen nur die
Beter, und wenn Gottes Wort wahr ist, so werden sie über die Spötter
siegen.“ *) Mit diesen Sätzen begründete er eine Veränderung seines
politischen Urteils. Ein solcher Mann konnte dem Könige wohl als
pflichtgetreuer Gehilfe dienen, doch nimmermehr ihn ergänzen.
In dem etwas eintönigen Verkehre mit diesen beiden alltäglichen
Vertrauten fühlte sich der König immer erquickt, wenn ein anderer Freund
aus dem alten Kreise der Wilhelmstraße, Oberst Joseph v. Radowitz in
der Hauptstadt erschien. Dann rief er fröhlich: Petz ist wieder dal
Radowitz stammte aus einem alten, wenig bekannten ungarischen Ge-
schlechtec; sein Großvater erst war als Kriegsgefangener nach Preußen ge-
kommen und dann in Deutschland geblieben. Der merkwürdig frühreife
Knabe wurde für den westfälischen Dienst bestimmt und auf französi-
schen Kriegsschulen ausgebildet. Mit fünfzehn Jahren war er schon Offizier,
im Jahre darauf erwarb er sich bei Bautzen das Kreuz der Ehrenlegion,
mit achtzehn Jahren übernahm er, nach der Auflösung des Königreichs West-
falen, die erste Lehrerstelle für Kriegswissenschaften am Kasseler Kadetten-
hause. Dann wurde er aus Hessen vertrieben, weil er für die mißhandelte
Kurfürstin ritterlich eintrat, ') und fand ehrenvolle Aufnahme impreußischen
Heere, wo er bei der Leitung der Militär-Bildungsanstalten und bei der
Neugestaltung der Artillerie einsichtig mitwirkte. Der Glutblick der tief-
liegenden kurzsichtigen Augen unter der hohen Stirn, die gebräunte und
doch bleiche Hautfarbe, die feinen, von dunklem Schnurrbart überschatteten
Lippen gaben seinem scharfgeschnittenen Kopfe ein fremdländisches Gepräge.
Über seinem ganzen Wesen lag ein geheimnisvoller Zauber; die feierlich
würdevolle Haltung der hohen, starken Gestalt verbot jede Vertraulichkeit.
In Gesellschaften saß er gern abseits, zeichnend oder in einem Buche
blätternd, bis er plötzlich eine geistreiche Bemerkung in das Gespräch ein-
warf und den Plaudernden zeigte, daß er jedes Wort vernommen hatte.
Leibliche Bedürfnisse schien er kaum zu kennen; er aß wenig, trank nur
Wasser, und man merkte ihm an, daß er niemals jung gewesen war.
Von früh auf beherrschte ihn ein unersättlicher Wissensdrang; Bücher
waren seine einzige Leidenschaft, und in seinem starken Gedächtnis spei-
cherte er allmählich eine erstaunliche Fülle vielseitiger Kenntnisse auf. Schon
seine Jugendschrift über bie Ikonographie der Heiligen bewies, wie gründ-
lich er in der Geschichte der Sitten, der Kunst, der Kirche bewandert war.
In den Salons des Kronprinzen ward er bald ein unentbehrliches Orakel,
das Berliner Wochenblatt verdankte ihm mehrere seiner besten Aufsätze.
Obgleich er durch seine Verheiratung mit einer Gräfin Voß in die
*) Thile an Stolberg, 8 Dez. 1846.
*“) S. o. III. 532.