Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

300 V. 4. Die Parteiung in der Kirche. 
Schmedding sagte, eine „formal nagelneue Erfindung“; sie widersprach nicht 
nur den Staatsgesetzen, sondern auch dem kanonischen Rechte, denn noch 
niemals hatte die Kirche bisher die Universitäten, die ja dem ganzen katho- 
lischen Deutschland dienen sollten, bloß als Diözesananstalten behandelt. 
Trotzdem und trotz den Bedenken Eichhorns fand der König die Zu- 
mutung ganz unverfänglich. Bald nachher beanspruchte der dankbare Dunin 
die Ernennung aller Religionslehrer in seiner Diözese, und auch dieser 
Anmaßung gab die Krone zuletzt im wesentlichen nach. Eine Kabinettsordre 
vom 6. Nov. 1846 bestimmte, daß der Minister sich mit dem Bischof 
über die Person jedes neu zu berufenden Religionslehrers verständigen, 
darauf der Bischof die kanonische Mission erteilen, und dann erst der 
Staat die Ernennung vollziehen solle. 
Über die Gesinnung des neuen rheinischen Oberhirten konnte bald 
kein Zweifel mehr bestehen. Geissel beeilte sich zwar als gewandter Hof- 
mann den murrenden rheinischen Adel zu beschwichtigen, dem der halbe 
Sieg in dem Bischofsstreite noch immer nicht genügte. Er weigerte sich 
aber Diepenbrock zu seinem Dompropste zu ernennen, obgleich ihn der 
König dringend darum ersuchen ließ*); der Regensburger Domherr war 
ihm zu friedfertig und wohl auch zu bedeutend für einen Untergebenen. 
Als vertraute Ratgeber dienten ihm erst jener Kanonikus Iven, dem der 
Payst einst eigenmächtig die Verwaltung des Erzbistums übertragen hatte, 
nachher der Weihbischof Baudri, beide erklärte Anhänger der strengen 
ultramontanen Partei. Von derselben Farbe war auch der auf Geissels 
Vorschlag ernannte neue Bischof von Speier, der Begründer des Mainzer 
„Katholiken“ Weis. Wie gänzlich verkannte doch der König die Zeichen 
der Zeit, wenn er arglos hoffte, die römische Kirche würde ihrer Ver- 
weltlichung bald entwachsen. Noch niemals seit den Zeiten Tezels hatte 
der Klerus unseres Westens so wie jetzt in pomphaften Festlichkeiten ge- 
schwelgt. Auf das Kölner Domfest folgte die Ausstellung des heiligen Rocks 
in Trier; dann wurden in Aachen die Windeln des Christkindleins dem gläu- 
bigen Volke gezeigt, bräunliche Fetzen, von denen selbst Baudri meinte, ihre 
Echtheit sei zweifelhaft, unzweifelhaft aber ihre Heiligkeit; darauf feierte man 
zu Münster mit unerhörtem Prunk das Jubiläum des greisen blinden 
Bischofs Caspar Max Droste, und überall war Geissel mit dabei. 
Der heranwachsende rheinische Klerus zeigte, dank den trefflichen 
Unterrichtsanstalten des preußischen Staates, mehr Bildung als das ältere 
Geschlecht, und seit dem Domfeste auch oft ein warmes Verständnis für die 
alte kirchliche Kunst; dem Erzbischof gegenüber bekundete er aber gar keinen 
eigenen Willen mehr. Die zahlreichen Sukkursalpfarrer des linken Rhein- 
ufers, die nach dem schlechten französischen Brauche keine festen kanonischen 
Pfründen besaßen, standen ganz in Geissels Hand; und auch die in ihrem 
  
*) Thile an Eichhorn, 24. Juni 1842.
	        
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