318 V. 4. Die Parteiung in der Kirche.
und mit solchem Erfolge, daß viele Schulkinder, auch mehrere Zöglinge
des Münchener Blindenhauses in die römische Kirche einzutreten verlangten.
Der Klerus nahm die minderjährigen Proselyten allesamt unbedenklich
an, obgleich das der Verfassung angehängte Religionsedikt den Übertritt
Unmündiger ausdrücklich verbot. Abel indes erklärte dreist, dies Verbot
widerspreche der natürlichen Gewissensfreiheit und dem Konkordate. Also
erweckte er mutwillig, bei einer höchst gehässigen Veranlassung, die alte
noch niemals klar entschiedene Streitfrage: ob die Verfassung vorgehe oder
das Konkordat? Drang seine Ansicht durch, dann verlor die protestantische
Kirche Bayerns den Rechtsboden unter ihren Füßen.
Ebenso roh zeigte sich die Parteilichkeit der Regierung, als der neue
Gustav-Adolf-Verein sich in Bayern auszubreiten versuchte. Diese Stiftung
war schon vor Jahren, nach der großen Erinnerungsfeier auf dem Lützener
Schlachtfelde gegründet, aber erst seit 1841, infolge eines Aufrufs des
Darmstädter Prälaten Zimmermann, reicher ausgestaltet worden. Sie
sollte vornehmlich den Protestanten in der Diaspora beistehen, ihnen die
Gründung neuer Kirchen und Gemeinden erleichtern, also, gemäß dem
Geiste des Protestantismus, in voller Freiheit und bescheidener Form den
riesigen Machtmitteln der römischen Propaganda entgegenwirken. Da jener
Aufruf aus den Kreisen der liberalen Theologen kam und der gleichgesinnte
Leipziger Superintendent Großmann bald an die Spitze trat, so betrachteten
die Orthodoxen den Verein anfangs mit Mißtrauen. Hengstenberg nannte
ihn mit gewohntem Fanatismus eine große Lüge; denn allerdings waren
in den letzten Jahrzehnten die Unternehmungen evangelischer Werktätigkeit
allesamt von den strengen Bibelgläubigen ausgegangen, und diese erste
Regung kirchlicher Tatkraft unter den milder gesinnten Theologen eine
ganz unerhörte Erscheinung. Auch König Friedrich Wilhelm blieb lange
argwöhnisch, bis er endlich einsah, daß der Gustav-Adolf-Verein wirklich
alle Parteien der evangelischen Kirche zum gemeinsamen Liebeswerke heran-
rufen wollte. Da übernahm er selbst für Preußen das Protektorat der
Stiftung. Freilich versicherte er zugleich seinen katholischen Landesbischöfen,
daß damit keine Feindseligkeit gegen die römische Kirche gemeint sei —
was viele gute Protestanten, selbst der getreue Anton Stolberg als un-
königliche Schwäche beklagten. Seitdem nahm der Verein einen erfreu-
lichen Aufschwung; das Vaterland der Reformation gab durch kräftige
Unterstützung der bedrängten Glaubensgenossen die würdige Antwort auf
die Übergriffe des römischen Stuhls.
Leider war der Name der Gustav-Adolf-Stiftung unglücklich gewählt.
Zerteilte Völker, die sich ihrer Einheit entgegensehnen, zeigen oft ein
krankhaft reizbares Nationalgefühl; sie urteilen ungerecht über die Zeiten,
da sie ausheimischen Gewalten unterlagen, und verkennen die Tatsache,
daß jedes Kulturvolk Europas, selbst das englische Inselvolk, irgend einmal
durch das Eingreifen großer Fremdlinge in seiner Entwicklung gefördert