Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Deutschkatholische Bewegung. 339 
Wie hätte der Eitle solches Lob ertragen sollen? In neuen Send— 
schreiben, die er nunmehr an seine Glaubensgenossen, an die Geistlichen, 
an die Lehrer richtete, schlug er ganz den Ton des radikalen journalistischen 
Großsprechers an. Er prahlte, die Schlacht gegen das Römertum würde 
nicht mehr im Dunkel des Teutoburger Waldes, sondern auf den Höhen 
des germanischen Geistes geschlagen; er weissagte, die in der ersten Refor— 
mation verlorene Weltherrschaft Deutschlands solle jetzt durch die zweite 
Reformation wiedergewonnen werden, und verhieß seinen Genossen: „der un— 
austilgbare Dank der Geschichte wird Sie durch die Jahrhunderte tragen.“ 
Mit seinem getreuen Dowiat, einem feurigen radikalen Kraftredner 
bereiste er sodann die süddeutschen Städte, um überall auf Banketten und 
Zweckessen die Huldigungen der Opposition entgegenzunehmen. Ein ekel— 
hafter Anblick, wie der neue Luther im vierspännigen Wagen mit Ruge 
und Fröbel, den ungläubigen Demagogen, und mit Fickler, dem Volks— 
manne der liberalen Seeschwaben, aus Konstanz hinausfuhr zur Kirchen— 
feier auf dem nahen sichern Schweizerboden, und der dicke Fickler schmun— 
zelnd sagte: das hätt' ich nicht gedacht, daß ich noch einmal Apostel werden 
sollte. Nachher beim Festmahl rief Dowiat ein schmetterndes Pereat auf 
die Petersburg im Süden und die Petersburg im Norden; währenddem 
meldeten sich einige harmlose Konstanzer zum Eintritt in die neue Ge— 
meinde; Dowiat ging hinaus, um nach weihevoller Ansprache ihre Namen 
in sein Kirchenbuch einzutragen, und kehrte dann, sarkastisch lächelnd, zum 
Champagner zurück. Darum erklärte der fromme, von Rom so schwer ge— 
kränkte Wessenberg sehr nachdrücklich, daß er mit diesem frivolen Treiben 
nichts gemein haben wolle. Viele andere tüchtige Männer überschätzten die 
Bewegung; der alte Protestantenhaß gegen den römischen Antichrist wallte 
hoch auf, alles strebte hinaus aus der Stickluft dieser Tage der Erwartung. 
Sogar der scharfblickende Karl Mathy ließ sich, allerdings nicht lange, über 
die Bedeutung der kirchlichen Demagogen täuschen; war er doch selbst 
der Sohn eines römischen Priesters, der sich einst nach schweren Seelen- 
kämpfen in die evangelische Freiheit hinübergerettet hatte. 
Von selbst verstand sich, daß der unaufhaltsame alte Paulus „zur 
Rechtfertigung der Deutschkatholiken“ schrieb; er glaubte ihnen treuherzig, 
sie würden den Westfälischen Frieden ausführen, den Gegensatz der Be- 
kenntnisse in Deutschland versöhnen. Ebenso zuversichtlich begrüßte sein 
rationalistischer Gesinnungsgenosse Röhr in Weimar den neuen Kampf 
wider Rom. Aber auch Gervinus, der weltlichste unter den jüngeren 
Historikern wähnte sich berufen, von „der Mission der Deutschkatholiken“ 
Großes zu weissagen und in einer zweiten Streitschrift die protestantischen 
Geistlichen wegen ihrer besonnenen Zurückhaltung hart anzulassen. Er hielt 
es für ein Naturgesetz, daß Deutschland nach einer religiösen und einer 
literarischen Epoche jetzt eine politische Zeit erleben müsse; solcher Hoffnung 
voll begrüßte er die neue Sekte als den Keim einer großen nationalkirch- 
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