Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Das Testament des alten Königs. 35 
ein großer Vereinigter Landtag, eine Versammlung aller Provinzialstände 
einberufen werden. über diesen letzteren Plan äußerte sich der König 
vorerst noch nicht, obwohl er ihn in der Stille unverbrüchlich festhielt. 
Was er aber für die Huldigung beabsichtigte, das gab er schon zu An- 
fang Juli seinen Ministern kund und sagte in seinem Handschreiben: er 
besitze noch nicht die Autorität und das Vertrauen, welche sein Vater sich 
einst durch eine lange, gesegnete Regierung erworben hätte, darum dürfe 
er die ständische Frage nicht unentschieden lassen. Auch Boyen, Voß, 
Leopold Gerlach nahmen teil an den Beratungen, die sich durch Wochen 
hinzogen und zumal den Prinzen von Preußen tief erregten. 
Für den Vorschlag des Königs erklärte sich nur einer der Befragten, 
General Boyen. Der alte Kriegsmann sah voraus, daß die erwartungs- 
volle Stille im Volke nicht mehr lange anhalten konnte, und sagte in 
einer Denkschrift vom 8. August: „In einem solchen zweifelhaften Falle 
ist es die Hauptfrage: soll die Regierung sich drängen lassen oder die 
Initiative ergreifen?“ Uberdies erwartete er bestimmt einen neuen Krieg 
gegen Frankreich, und wie er schon im Jahre 1808 die Berufung einer 
Ständeversammlung angeraten hatte, um die Krone zum Kampfe gegen 
Napoleon zu stärken, so verlangte er auch jetzt, daß unsere bewaffnete 
Macht „geistig höher“ stehen müsse als die Heerscharen der Propaganda. 
Darum betrachtete er „diesen durch eine sonderbare Kette von Verhält- 
nissen herbeigeführten Gedanken eines ständischen Ausschusses .. als das 
beste und einfachste Mittel für unsere inneren und äußeren Staatsver- 
hältnisse... Kann jemand noch ein besseres Mittel angeben, in Gottes 
Namen! Aber für die gesetzliche Lenkung des Volksgeistes muß etwas in 
Zeiten geschehen.“ In einem Begleitschreiben rief er dem Könige zu: 
„Wir stehen gegenwärtig am Rubicon, aber der Übergang hat nicht wie 
bei Cäsar die Zerstörung zum Zweck. Nein, das Ziel ist das mutige 
Erhalten und zeitgemäße Aufbauen der vaterländischen Einrichtungen. 
Dies ist die von der göttlichen Vorsehung Eurer Majestät zugewiesene 
Aufgabe!““) So klar der General das Ziel erkannte, ebenso schwer täuschte 
er sich über die Mittel und Wege. Eine Versammlung von 32 Provinzial- 
Abgeordneten war kein Reichstag, sondern nur ein ständischer Ausschuß, 
wie sie Boyen ja auch selbst nannte; durch eine so kümmerliche, fast 
spöttische Erfüllung des alten Königswortes konnten die Preußen weder 
befriedigt noch begeistert, sondern nur aufgereizt werden zur Forderung 
ihrer verbrieften Rechte. Diese Gefahr lag so nahe, daß selbst General 
Thile, der sich anfangs zu seinem Freunde Boyen gehalten hatte, bald 
bedenklich wurde, der Prinz von Preußen aber und die anderen Minister 
allesamt den Monarch dringend warnten. 
Dergestalt bewährte Friedrich Wilhelm jetzt schon seine verhängnis- 
  
*) Boyens Denkschrift nebst Begleitschreiben an den König, 8. Aug. 1840. 
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