Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

438 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
Träumen seiner Todeskrankheit hat ihn das Mißgeschick der oranischen 
Verwandten oft beschäftigt. Im Vertrauen auf die Herzensgüte seines 
preußischen Vetters wagte nun der niederländische König eine Tat un- 
erhörter Treulosigkeit; er hatte unterdessen einige Luxemburger von der 
preußenfeindlichen Partei insgeheim zu Rate gezogen und erklärte plötz- 
lich, ohne einen Grund anzugeben, daß er den Vertrag nicht ratifizieren 
könne. Vielleicht stand dabei noch ein abenteuerlicher Plan im Hinter- 
grunde. Eben in diesen Septembertagen wurde in belgischen Garnisonen 
eine orangistische Verschwörung entdeckt, an deren Spitze zwei Generale 
standen, und man argwöhnte in Brüssel wie im Haag, daß der König ge- 
glaubt hätte, jetzt sei die Zeit für eine Gegenrevolution gekommen.) Ge- 
nug, der Oranier versagte seine Genehmigung einem Vertrage, den seine 
Bevollmächtigten genau nach seinen eigenen Weisungen abgeschlossen 
hatten. Es war nicht geradehin ein Bruch des Völkerrechts, aber eine so 
unehrenhafte Verletzung des internationalen Anstandes, daß der alte Mi- 
nister des Auswärtigen, Verstolk van Soelen, sofort entrüstet seinen Ab- 
schied nahm und mehrere andere erfahrene Diplomaten dem Monarchen er- 
klärten, unter solchen Umständen könnten sie das Auswärtige Amt nicht 
übernehmen. 
Geschäftssachen unter Freunden geschäftlich nüchtern zu erledigen, 
widerstrebte dem weichen Gemüte König Friedrich Wilhelms immer. In 
einem brüderlichen Briefe hielt er „seinem lieben Wilhelm“ die Torheit und 
das Unrecht der plötzlichen Sinnesänderung vor und schloß treuherzig: 
„In Summa, die Nicht-Ratifikation wird uns sehr angenehm sein, aber sie 
wird ein Unglück für Luxemburg sein und eine unerschöpfliche Quelle von 
Katzenjammer (déboires) für dich!“ Diesen gemütlichen Ton suchte der 
Oranier schlau auszunutzen; er erwiderte „seinem lieben Fritz“ am 
15. Sept.: „ich sehe also mit wahrer Freude, daß du mir nicht nur nicht 
die Zunge herausstrecken wirst, sondern daß meine Nicht-Genehmigung 
dir sogar sehr angenehm sein wird, da sie deinen Untertanen Vorteil 
bringt.“ Darauf versicherte er, die Luxemburger würden erst nach langer 
Zeit zu Deutschen werden, und dann nur aus Interesse, wenn Deutsch- 
land ihre Unabhängigkeit nicht störte, sondern beschützte. 7) Gleich nachher 
erschien schon der niederländische Bundesgesandte v. Scherff in Berlin 
und erbat, daß Preußen und der Zollverein den Abfall König Wilhelms 
von dem geschlossenen Vertrage förmlich genehmigen möchten. Die durch- 
weg belgisch gesinnten Zeitungen Luxemburgs frohlockten schon: die un- 
natürliche Trennung der beiden Hälften des Landes würde jetzt endlich 
aufhören. 
*) Diese Frage ist noch nicht aufgeklärt. Selbst der immer gründlich unterrichtete 
de Bosch Kemper wagt darüber nur Vermutungen (Geschiedenis van Nederland na 
1830. IV. 50). 
*“*) König Wilhelm II. an König Friedrich Wilhelm, 15. Sept. 1841.
	        
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