Treulosigkeit König Wilhelms II. 439
Da regte sich doch der preußische Stolz. General Dumoulin, der
alte treue Grenzenhüter der Westmark beschwor das Auswärtige Amt,
fest zu bleiben; der Anschlag gehe aus von jener Partei, welche seit Jahren
danach trachte, „das Land systematisch ganz von Deutschland zu trennen
und den letzten Keim deutscher Sitte darin zu vernichten“.*) Die Mah—
nung wirkte. Minister Werther sprach dem Könige nachdrücklich aus: jede
Nachgiebigkeit sei unmöglich, es handle sich um die hochpolitische Frage,
ob Luxemburg sich an Deutschland oder an Frankreich und Belgien an—
schließen solle. Nunmehr schrieb Friedrich Wilhelm wieder, diesmal sehr
ernst, an den Oranier: „Ich muß also, teurer und vortrefflicher Wilhelm,
jede Verantwortlichkeit für die von dir beabsichtigte Nichtgenehmigung
gegenüber den anderen Regierungen des Zollvereins hier auf die feier—
lichste Weise von mir ablehnen.“ Dann erinnerte er ihn an die feind—
selige Politik der Niederlande, die schon seit Jahren so viel Mißtrauen
in Deutschland erweckt hätte: „Ach, teurer Wilhelm, könntest du die
große und schöne Rolle des Versöhners spielen!“?) Immer und immer
schwankte Friedrich Wilhelm zwischen königlichem Pflichtgefühl und gut-
mütiger Schwäche. Es tat ihm wehe, mit dem alten Freunde so ganz
persönlich aneinander zu geraten. Darum wollte er jetzt den Streitfall,
unter OÖsterreichs Vermittlung, dem Bundestage zur Entscheidung vor-
legen, und erst durch die dringenden Vorstellungen des Auswärtigen Amts
ließ er sich von diesem unglücklichen Gedanken, der unfehlbar alles ver-
dorben hätte, wieder abbringen.“)
Als der niederländische König einsah, daß die Preußen ihn nicht frei-
Fgaben, versuchte er neue Winkelzüge und sendete zur Unterstützung Scherffs
zwei luxemburgische Bevollmächtigte. Die beiden Luxemburger, Simons
und Pescatore waren in Berlin als belgische Parteigänger und Feinde
Deutschlands übel berüchtigt; sie erklärten, ihr König-Großherzog wolle
den Vertrag genehmigen, doch nur auf ein Jahr und mit sechsmonat-
licher Kündigung. Ein solcher Vorschlag aus solchem Munde war offenbar
frivol. Nur Friedrich Wilhelm bemerkte die Arglist nicht; er dachte schon
einzuwilligen, falls Luxemburg sich verpflichtete, in den nächsten vier Jahren
weder mit Belgien noch mit Frankreich einen Handelsvertrag zu schließen.
Seine Minister urteilten anders. Nachdem der widerliche Streit einige
Wochen gewährt hatte, entwarfen Thile, Alvensleben, Maltzan einen ge-
meinsamen Bericht und zeigten dem Monarchen, was auf flacher Hand
lag: im ersten Jahre bringe eine Zollvereinigung immer mannigfache Ver-
luste; der belgischen Partei in Luxemburg würde es also nicht an Vor-
*) Dumoulin an Werther, 23. Sept. 1841.
*“*) Werthers Bericht an den König, 29. Sept., König Friedrich Wilhelm an König
Wilhelm II., 30. Sept. 1841.
***) Stolberg an Thile, 1. Okt.; Schreiben des Auswärtigen Amts an Thile, 6. Okt.
1841.