Hannover und die Hansestädte. 445
handel als ihre wichtigste Erwerbsquelle, sie hatten ihre Vaterstadt zu
einem großen freien Markte für alle skandinavischen Völker erhoben, und
wollten nicht sehen, daß ihnen jetzt eine noch reichere Zukunft offen stand,
wenn sie mit der neuerdings so mächtig angewachsenen Industrie des
Hinterlandes in freien Verkehr traten; ihr nordischer Zwischenhandel
konnte ja daneben, in einem wohlgeordneten Freihafen, ungestört fort—
dauern. Eigensinnig wie vormals die Kaufleute von Leipzig und Frank—
furt sträubten sie sich wider ihr eigenes Glück, ganz wie jene rühmten
sie die Trennung vom Vaterlande als Handelsfreiheit und verachteten
das weiter blickende preußische Beamtentum. Ihre Schriftsteller — nicht
bloß die blinden Partikularisten des Hamburger Korrespondenten, sondern
auch der gelehrte Patriot Wurm — hatten für die Idee der praktischen
deutschen Einheit nur leere Worte. Wenn sie zuweilen sehnsuchtsvoll von
der Zolleinigung des Vaterlandes sprachen, dann fügten sie stets den un—
möglichen Vorbehalt hinzu: erst müsse Österreich beitreten; und wenn sie
Preußens Bemühungen um die Einheit der Münzen und Maße herab—
lassend lobten, dann fiel es ihnen doch gar nicht ein, daß Hamburg mit
gutem Beispiele vorangehen, sein lächerliches zweifaches Münzwesen mit
der erprobten Talerwährung vertauschen sollte. Es war nicht anders, die
große Mehrheit des Volks an der Nordseeküste wollte ihr Sonderleben nicht
aufgeben. Klefeker in Hamburg, Berg in Oldenburg, v. d. Horst in Han—
nover und die wenigen anderen einsichtigen Publizisten, die zum Anschluß
mahnten, richteten nichts aus gegen das allgemeine Vorurteil.
König Friedrich Wilhelm hielt in diesen Jahren Hannover und Kur—
hessen für die beiden nächsten Freunde Preußens im Deutschen Bunde,
denn von Bayern her wurde seine Regierung heftig befehdet, und den
übrigen Mittelstaaten traute er wenig Widerstandskraft gegen die Libe—
ralen zu. Darum behandelte er seinen welfischen Oheim mit zarter
Schonung und setzte sogar bei den widerstrebenden Braunschweigern durch,
daß jener Harz- und Weserkreis, der das Welfenkönigreich durchschnitt,
vorläufig noch zwei Jahre lang im Steuervereine verblieb, damit der
hannoversche Hof Zeit gewönne, sich auf den Zollanschluß vorzubereiten.
Die Hannoveraner zeigten sich für solche Freundlichkeit wenig dankbar;
sie ließen viele Monate verstreichen, bis sie nach wiederholten Mahnungen
die zugesagten Verhandlungen endlich begannen, und dann stellten sie
alsbald zwei gleich unannehmbare Bedingungen. Sie verlangten, daß der
Zollverein seine Zölle auf mehrere der einträglichsten Kolonialwaren be—
trächtlich herabsetzte und außerdem noch dem Königreiche ein Präzipuum
gewährte, einen erhöhten Anteil an den gemeinsamen Einnahmen, zur
Entschädigung für die angeblich größere Konsumtion im Welfenlande.
Den 2 Millionen Deutschen des Steuervereins zulieb' sollten also die
28 Millionen des Zollvereins sich ihre ergiebigsten Finanzzölle verderben.
Die zweite Forderung aber verstieß gegen den Grundgedanken des Zoll-