Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

458 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
Südens tobten; List meinte zornig, jeder durch Preußen abgeschlossene 
Handelsvertrag sei ein öffentliches Unglück für den Zollverein. In Wahr— 
heit war dieser vielgeschmähte Vertrag sehr unschuldig, ja sogar vorteil— 
haft für Deutschland. England versprach, den Zollvereinsschiffen die Ver— 
günstigungen, welche ihnen bisher nur für die direkte Fahrt zustanden, 
künftighin auch für die indirekte Fahrt aus den sogenannten Vorhäfen 
des Zollvereins, aus den Nordseehäfen zwischen Elbe und Rhein, zu ge— 
währen. Die preußische Regierung hatte mithin einen kleinen Schritt 
vorwärts getan auf der Bahn der nationalen Handelseinheit; sie hatte 
erreicht, daß England anfing, das gesamte Deutschland in Sachen der 
Schiffahrt als ein handelspolitisches Ganzes zu behandeln. Dafür gab 
sie nur das selbstverständliche Versprechen, daß sie auch ihrerseits für 
die Dauer des Vertrags nichts ändern würde an ihrer Schiffahrtsgesetz- 
gebung, die allerdings weit liberaler war als die englische Navigations- 
akte und zwischen direkter und indirekter Fahrt keinen Unterschied kannte. 
Der wüste, ziellose Lärm bewies lediglich, wie viel schroffe Parteigegen- 
sätze der Zollverein in sich barg. König Friedrich Wilhelm schwankte 
einen Augenblick, dann fragte er Kühne um Rat und ließ sich überzeugen.) 
Darauf rechtfertigte der streitbare General-Steuerdirektor den englischen 
Vertrag in der Staatszeitung durch einen lichtvollen Aufsatz, der die 
Gegner zum Schweigen brachte. — 
Weit wichtiger wurden die langwierigen Zollverhandlungen mit Belgien. 
Hier galt es, nötigenfalls selbst durch wirtschaftliche Opfer, eine ernste 
politische Gefahr abzuwenden. Schon vor längerer Zeit hatte König Leo- 
pold in Berlin leise anfragen lassen, ob Belgien nicht in den Zollverein 
eintreten könne, und darauf die Antwort erhalten, der Zollverein solle ein 
ausschließlich deutscher Handelsbund bleiben.*) Es stellte sich bald heraus, 
daß jene Anfrage eine diplomatische Falle war; denn wäre die preußische 
Regierung auf das keineswegs ernstlich gemeinte Anerbieten irgendwie ein- 
gegangen, so hätte sie das Recht verloren, künftighin gegen einen franzö- 
sisch-belgischen Zollverein Einspruch zu erheben. Und dies für Deutschland 
bedrohliche Unternehmen wurde im Sommer 1841 wirklich in Angriff ge- 
nommen; man erfuhr in London, daß der Brüsseler Hof in Paris die 
Bildung eines Zollvereins, nach dem Vorbilde des deutschen, vorgeschlagen 
hatte. *“*“) Der Antrag ging, wie der König von Württemberg bald aus 
sicherster Quelle vernahm#), von Leopold persönlich aus, und Guizot konnte 
ihn nicht von der Hand weisen, da die Einverleibung Belgiens noch immer 
der Traum jedes Franzosen war und alle Nachbarmächte die Erfolge der 
preußischen Zollvereinspolitik mit Eifersucht betrachteten; ein Glück nur, 
*) Nach Kühnes Denkwürdigkeiten. 
**) Dieses Vorfalls gedenkt Bunsen in seinem Berichte vom 28. Febr. 1843. 
*"“) Schleinitzs Bericht, London 27. Juli 1841. 
) Rochows Bericht, Stuttgart 19. Jan. 1843.
	        
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