Die Krisis des Zollvereins. 471
sich zu einiger Nachgiebigkeit entschloß.“) Nach neuen, überaus schwierigen
Verhandlungen beschloß der Zollverein (1844), seinen Tarif etwas abzu-
ändern: das bisher zollfreie Roheisen zahlte fortan 10 Sgr. vom Zentner,
auch die Zölle auf Stab-, Schienen-, Schmiedeeisen, sowie auf Leinenzwirn
wurden erhöht. Alsbald begann die Eiseneinfuhr zu sinken, doch war
die Wirkung der neuen Zölle nicht ganz so stark, wie die Grubenbesitzer
hofften, da Deutschland gleich nachher den Belgiern durch jenen not-
gedrungenen Handelsvertrag Begünstigungen zugestehen mußte.
Durch diesen halben Sieg wurde die Schutzzoll-Partei zu neuen An-
griffen ermutigt, ihre Blätter sprachen täglich heftiger, selbst vor revo-
lutionären Drohungen scheute sie sich nicht mehr. In einer Versammlung
badischer Fabrikanten zu Karlsruhe sagte der radikale Schopfheimer Ab-
geordnete Gottschalck: wenn der Zollverein keinen Zollschutz gewähre, dann
sollten die Fabrikanten nur ihre Arbeiter verabschieden und diesen über-
lassen, ihre Wünsche wirksamer vorzutragen! ?*) Kündigung des Zoll-
vereins, Anschluß an Österreich! — so riefen die Verblendeten überall,
sie wußten nicht mehr, was sie sagten. Cottas Allgemeine Zeitung ver-
öffentlichte als gräßliche Enthüllung einige irgendwie verratene Berichte
des englischen Gesandten Lord Westmoreland in Berlin; und obwohl der
Lord eigentlich nur erzählte, daß die preußischen Minister ihm ihre ge-
mäßigten handelspolitischen Grundsätze mit etwas überschwenglicher
Freundlichkeit auseinandergesetzt hatten, so wurden doch diese nichtssagen-
den, im diplomatischen Verkehre unvermeidlichen Höflichkeiten von List
und seinen Leuten so gehässig ausgelegt, als wäre nunmehr klar erwiesen,
daß Preußen den Befehlen Englands folgte. Alle Sünden deutscher Zank-
sucht brachen wieder aus.
Mittlerweile war das preußische Handelsamt gegründet worden, und
Rönne kündigte, da er auf die Gunst des Monarchen baute, der Finanz-
partei sofort offene Fehde an. Ohne bei dem Finanzministerium auch
nur anzufragen??*), berief er im Frühjahr 1845 eine Versammlung von
wirtschaftlichen Notabeln, die fast allesamt der Schutzzoll-Partei ange-
hörten und mithin eifrig für Zollerhöhungen stimmten. Auch die radikalen
Gegner rüsteten sich. Prince Smith widmete der nahenden Zoll-Konferenz
ein Schriftchen, das kurz und gut alle Schutzzölle als „Teuerungszölle“
verdammte. In ähnlichem Sinne sprachen die ostpreußischen Stände;
sie wurden jedoch im Landtagsabschiede sehr ernst dahin bedeutet, daß die
Krone durch das alte Zollgesetz selbst verpflichtet sei, den Gewerbfleiß des
Inlands zu schützen. Wie gern wäre Friedrich Wilhelm allen Interessen
gerecht geworden, er quälte sich ab in gewissenhaften Erwägungen, doch
7) Denkschrift des Finanzministeriums, 5. Jan.; Küsters Bericht, München, 21. Jan.
1844.—
*) Radowitzs Bericht, 28. Juni 1845.
**) So versichert Kühne in seinen Denkwürdigkeiten.