474 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft.
Heimat, dem wichtigsten Industrielande der Monarchie, wenig Zustim—
mung, die böhmischen Fabrikanten fürchteten alle den deutschen Wettbewerb.
Sogar der alternde Metternich empfand dunkel, daß man das ver—
morschte Zollwesen zerbrechen mußte. Er hatte einst den werdenden Zoll—
verein, als es schon viel zu spät war, zu vernichten gesucht. Jetzt gingen
ihm die Augen auf. Als er im Sommer 1841 seinen Johannisberg wieder
besuchte, da fiel ihm auf, wie überall in Deutschland unter dem Schutze
der Handelseinheit Verkehr und Wohlstand emporwuchsen; er ahnte, dieser
Zollverein würde bald unaufhaltsam um sich greifend das ganze Deutsch—
land verschlingen, und nun endlich verfiel er auf die Frage, ob nicht Oster—
reich selbst beitreten solle, um Preußen zu überflügeln. Abel und die
anderen klerikalen Freunde in München hatten ihn ja so inbrünstig ver—
sichert, ganz Süddeutschland wünsche diesen Beitritt, damit Preußens Hege—
monie ein Gegengewicht erhielte. Doch zu Deutschlands Glück war Met—
ternich in allen volkswirtschaftlichen Dingen noch immer ebenso unwis—
send, wie vor Jahren, da Motz über seine handelspolitische Weisheit spottete.
Alles Ernstes behauptete er: im alten deutschen Reiche „galten gleiche
Handelsberechtigungen für alle Mitglieder desselben“; und ebenso gründ—
lich wie die deutsche Handelsgeschichte kannte er auch die Verfassung des
Zollvereins. Er verlangte lediglich eine Ermäßigung der erdrückenden Pro-
hibitivzölle als „Anfang einer Einlenkung in das deutsche Zollsystem“ und
begriff nicht, daß Osterreich sich durch diese armselige Reform dem Zoll-
vereine kaum ebenso weit genähert hätte wie England oder Frankreich. Hell
vor Augen stand ihm nur die Hoffnung, Preußen zu bekämpfen; alles
andere war unklarer Dilettantismus. In solchem Sinne schrieb er an den
neuen Leiter des Finanzwesens, den Hof-Kammerpräsidenten Kübeck, einen
tätigen, brauchbaren Beamten, der als Plebejer von der öffentlichen Mei-
nung anfangs mit großen Erwartungen empfangen wurde, doch bald genug
zeigte, daß er weder das unsterbliche Defizit beseitigen noch einen schöpfe-
rischen Gedanken finden konnte. Im November 1841 berieten die Mi-
nister über eine mögliche Annäherung an Deutschland; aber die Entschei-
dung wurde vertagt, denn der alte Todfeind jeder Reform, Erzherzog Lud-
wig führte den Vorsitz, und im stillen sagte sich jeder, daß die nicht
deutschen Kronländer solchen Plänen unmöglich folgen konnten. Als Kü-
beck zwei Jahre darauf den Entwurf eines milderen Zollgesetzes vorlegte,
da scheiterte alles an dem Widerspruche der böhmischen Fabrikanten. Das
alte „taubstumme System“ — so nannte es Canitz — blieb unwandelbar
im Zollwesen wie in der gesamten Verwaltung.*) Kamen unterweilen
noch einzelne deutsche Verehrer OÖsterreichs nach Wien, um wegen mög-
licher Handelserleichterungen anzufragen, dann empfing sie Metternich
freundlich; zuletzt fand er doch immer, das sei Ideologie, und Canitz be-
*) Canitzs Bericht, 13. Dez. 1843.