Osterreichische Zollvereinspläne. 475
merkte: „dies Wort ist dem Fürsten recht geläufig, er gebraucht es manch-
mal statt jeder anderen Widerlegung oder Erklärung.“ )
Wie hilflos stand doch dies unförmliche Reich mit seinem Bölker-
gemisch zwischen den beiden großen schicksalsverwandten Nationen, die sich
in jugendlichem Selbstgefühl zu erheben begannen. Schon längst betrach-
teten die Italiener den deutschen Zollverein mit schmerzlicher Bewunderung;
und noch gab es einzelne gutmütige Patrioten, die nicht ganz an Öster-
reich verzweifelten. Die Annali universali di statistica veröffentlichten
(1843) einen Artikel Serristoris, der den italienischen Staaten riet, sich
nach und nach ebenso an das österreichische Zollsystem anzuschließen, wie
die deutschen Staaten das preußische Zollgesetz angenommen hätten. Und
so wunderbar war die Welt schon verwandelt: dieser Aufsatz, der vor einem
Vierteljahrhundert seinen Verfasser unfehlbar in den Kerker gebracht hätte,
wurde jetzt im Osterreichischen Beobachter belobt und übersetzt. Aber wie
klein, wie unfruchtbar, wie ängstlich zeigte sich Metternich auch hier. Er
sah in der wirtschaftlichen Einigung Italiens nur ein Mittel, um die
gefürchteten „Sekten“ zu bekämpfen, ganz wie vor zwanzig Jahren viele
deutsche Kleinminister den Zollverein als einen Schutzwall gegen die na-
tionale Einheit gepriesen hatten. Ein wirklicher Zollverband erschien ihm
auch zu kühn; und allerdings konnte die berüchtigte k. k. Maut mit ihren
bestechlichen Beamten und den riesigen venetianischen Schmuggelnieder-
lagen unmöglich die Bewunderung der weltklugen Italiener erwecken. Die
Hofburg begnügte sich also, den italienischen Staaten in tiefem Geheimnis
einige Handelserleichterungen vorzuschlagen. Allein selbst der getreueste
Hof der Halbinsel, der Hof von Neapel hegte gegen die k. k. Handelspolitik,
die ihm schon manche ärgerliche Zollstreitigkeiten bereitet hatte, ein starkes
Mißtrauen, und die Turiner Regierung lehnte sogar rundweg ab. Dort
in Piemont regte sich schon mit Macht der nationale Gedanke. Wenn
dort ein Zollverein zwischen Sardinien, Toskana und dem Kirchenstaate
erwogen wurde, wenn die Grafen Petitti und Cavour ein italienisches
Eisenbahnnetz empfahlen, so richteten alle diese Pläne ihre Spitze gegen
Österreich. Was in Italien stark und edel war, bekämpfte den Wiener
Hof. Jenseits der Alpen wie jenseits des Riesengebirges konnte der
Kaiserstaat nur noch hemmen und stören, nichts mehr schaffen. —
Von der nächsten Zukunft durfte die enttäuschte deutsche Schutzzoll-
Partei überhaupt nur wenig erwarten. Der ganze Zug der Zeit war
ihr ungünstig. Die unter dem Schirm ihrer Zölle und Schiffahrtsgesetze
erstarkte erste Handelsmacht der Welt lenkte eben jetzt in die Bahnen
des Freihandels ein. Englands Volkswirtschaft war, wie List bitter sagte,
nunmehr so hoch gestiegen, daß sie die Leiter, die ihr emporgeholfen, ge-
trost abbrechen konnte. Die Lehre von dem größten Wohlsein der größten
*) Canitzs Bericht, 20. März 1843.