Lists Tod. 483
Preußen. Nun wies ihm List nach, daß der Zollverein mit dem geliebten
England auch dann in guter Freundschaft leben könnte, wenn er strenge
Schutzzölle einführte. Was konnte ihm willkommener sein? Friedrich
Wilhelmwünschte lebhaft, den durch Bunsen und Rönne warm empfohlenen
Verfasser der Denkschrift im preußischen Dienste anzustellen, etwa als
General--Inspektor der Eisenbahnen und Fabriken des Zollvereins oder
als Leiter der deutschen Kolonisation in Posen, wie Bunsen vorschlug.
Freilich konnte eine solche Ernennung nicht sogleich erfolgen, weil der Zwie-
spalt im hohen Beamtentum noch fortwährte. Als Kühne eben in diesen
Tagen für die nochmals erledigte Stelle des Finanzministers vorgeschlagen
wurde, da verlangte der König, Kühne müsse sich erst mit List, der nach
Berlin berufen werden sollte, über die Grundsätze der Handelspolitik ver-
ständigen. Hierauf konnte sich Lists alter Gegner nicht einlassen, und
diese Weigerung diente als Grund oder als Vorwand, um den liberalen
Kandidaten, der sich ohnehin nicht der königlichen Gunst erfreute, vom
Ministerrate fern zu halten.)
Von allen diesen Plänen erfuhr List kein Wort. Er erhielt vor-
läufig nur ein einfaches Dankschreiben aus Berlin und kehrte fast mut-
los in die Heimat zurück. Hier übermannte ihn gänzlich die schreckliche
Hypochondrie, die seinen fröhlichen Sinn schon so oft gemartert hatte.
Er wähnte sich verfolgt von aller Welt, da ihm die Gegner seine groben
Angriffe durch schmähliche Verleumdungen heimzahlten; er fühlte sich un-
fähig zu jeder Arbeit und obwohl für seine nächste Zukunft noch hinrei-
chend gesorgt war, so meinte er doch die Zeit nahen zu sehen, da seine
Feder ihn und seine heißgeliebte Familie nicht mehr ernähren könnte.
Völlig krank, von fieberhafter Unruhe gepackt unternahm er noch eine
zwecklose Reise, und im November 1846 gab er sich in Kufstein selbst den
Tod. Dies schauerliche Ende eines reichen Lebens erschütterte die ge-
samte Nation. Auf dem Kufsteiner Kirchhofe, dicht an der deutschen
Grenze, wurde „Deutschlands Friedrich List“ unter einem großen Grab-
steine gebettet, Sammlungen der Parteifreunde sicherten den Unterhalt
der Hinterlassenen, und manche klagende Stimme nannte ihn ein Opfer
deutscher Undankbarkeit. In Wahrheit war sein Tod nur die Folge
einer unheimlichen Krankheit, die ihm zuletzt die Freiheit des Willens
benahm. Wer darf sagen, ob diese Prophetennatur, die nur wecken, er-
regen, entflammen, nicht leiten konnte, in einem mächtigen Parlamente
glücklicher gewirkt hätte? Das aber ist sicher: das Elend unserer Klein-
staaterei, die einen großen politischen Charakter so gar nicht zu ertragen ver-
mochte, hat ihm sein ganzes Leben vergällt und getrübt. Erst die Nachwelt
würdigt ganz, was unvergänglich war in seinem Schaffen. —
In allen diesen Zollvereinshändeln sprachen die beiden streitenden
*) Nach Kühnes Aufzeichnungen.
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