Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

518 V. 6. Wachstum und Siechtum der Volkswirtschaft. 
oder anderer ausländischer Geheimbünde zu erkennen gaben. Der ganze 
Umfang dieser weitverzweigten unterirdischen Wühlerei wird wohl immer 
im Dunkel bleiben; wie erfolgreich sie aber arbeitete, das erwiesen die 
Barrikadenkämpfe des Revolutionsjahres. Auch die Zeitpoeten Freiligrath, 
Wilhelm Jordan, Karl Beck besangen jetzt schon öfter das soziale Elend 
als den politischen Freiheitskampf; der Deutschböhme Alfred Meißner 
klagte: 
"6 Denn alle wollen Gold und Metzen, 
Paläste, Tafeln, Pferd'’ und Hetzen, 
Das arme Volk will schwarzes Brot! 
Weit größere Verbreitung fanden die schlechten Übersetzungen der 
neuesten aus Schmutz und Blut gemischten französischen Poesie. Die 
Weltweisheit dieser sozialen Dichtung ließ sich mit dem denkbar geringsten 
geistigen Aufwande verstehen, man brauchte nur alle Begriffe einfach auf 
den Kopf zu stellen: Gott ist die Sünde, die Ehe ist Unzucht, Eigentum 
ist Diebstahl. Eugen Sues Ewiger Jude und die Geheimnisse von 
Paris wurden in Deutschland massenhaft gelesen; die ekelhaften Bilder 
des weichherzigen Gurgelabschneiders, der tugendhaften Bordelldirne, des 
ehrlichen Spitzbuben und des grausamen Wucherers vergifteten Unzähligen 
die Phantasie. Fast der gleiche romanhafte Reiz lockte die Deutschen auch 
zu Louis Blancs Geschichte der zehn Jahre, die in einem Jahre dreimal 
übersetzt wurde. Ein mittelmäßiger, gedankenarmer Kopf, aber ein ge- 
wandter Erzähler, wußte L. Blanc die Geldherrschaft der Bourgeoisie mit 
allen Sünden ihrer Hartherzigkeit anschaulich darzustellen und die em- 
pörten Leser dann zu trösten durch das unbestimmte Idealbild einer zu- 
künftigen Organisation der Arbeit, bei dem sich jeder jedes denken konnte. 
Auch ein Gegner der Radikalen, Lamartine förderte arglos die Bestre- 
bungen der Umsturzpartei. Seine Geschichte der Girondisten verklärte die 
häßliche Prosa der Revolutionskämpfe durch den Zauber hochpoctischer 
Schilderungen und trieb mit dem politischen Verbrechen einen sentimen: 
talen Götzendienst, der den deutschen Halbgebildeten besser zusagte als der 
historische Ernst Niebuhrs, Carlyles oder Dahlmanns. 
Derweil also der soziale Unfriede durch unzählige Agenten und 
Schriften geschürt wurde, erlebte Deutschland auch schon einzelne Fälle 
gräßlicher Massennot. In Berlin lebten um 1847 etwa 10 000 Almosen 
empfänger und 30 000 polizeilich überwachte Personen, während die Zahl 
der wirklich leistungsfähigen Bürger nur auf 20 000 geschätzt wurde. Ost- 
preußen kam seit den großen Überschwemmungen des Jahres 1845 und 
wiederholten Mißernten gar nicht mehr aus dem Notstande heraus. 
Minister Flottwell bemühte sich zwar redlich, das Elend in seiner geliebten 
Heimat zu lindern; mehr als eine Mill. Tlr. wurde nach und nach 
zur Unterstützung dieser einen Provinz aufgewendet, leider planlos und 
mit geringem Erfolge.
	        
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