Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Fallmerayers Fragmente. 539 
Rausch, der die Gesandten in Pera so oft ergreift, überwältigte auch ihn: 
er wollte auf der weiten Welt nichts mehr sehen als die orientalische Frage. 
Da nun das dem Fragmentisten ganz unbekannte Preußen der pro- 
saischen Meinung war, daß die Lose Europas schon seit vierzehnhundert 
Jahren nicht mehr am Bosporus geschrieben würden und sich demnach an 
dem diplomatischen Ränkespiele der Metropolis nur wenig beteiligte, so 
glaubte er, Deutschland sei in schmähliche Ohnmacht versunken. Ebenso 
hoffnungslos urteilte er über die Neugriechen. Mit einem großen Auf- 
wande historischer Gelehrsamkeit erklärte er sie für ein elendes flawisch- 
schkypetarisches Mischvolk. Ihm entging ganz, daß die Nationalität durch- 
aus nicht allein durch die Reinheit des Blutes bedingt ist. Fast überall 
in Europa hatte nach den großen Völkerwanderungen die überlegene Kultur 
der Besiegten ihre Rache genommen an den barbarischen Siegern; die Sla- 
wen waren auf hellenischem Boden ganz ebenso zu Byzantinern geworden, 
wie die Goten, Langobarden und Burgunden aufs Römerboden zu Ro- 
manen wurden. Die Hellenen haßten ihren Lästerer tödlich, und König 
Ludwig fand es ruchlos, daß ein in Bayern längst eingebürgerter Ge- 
lehrter in der bayrischen Allgemeinen Zeitung das Lieblingsvolk der 
Wittelsbacher also um allen Kredit brachte. Russenhaß, Griechenhaß, Zorn 
über Deutschlands Schwäche, Entrüstung wider den Vibius Egnatius 
Tartuffius des Priestertums — das waren die vorherrschenden Emp- 
findungen des Fragmentisten. Er nannte sich gern einen Mann von Welt, 
weil er in Frankreich, in Rußland, in Pera viel in vornehmen Kreisen ver- 
kehrt hatte, und spottete über die doktrinäre philhellenische Schwärmerei 
der deutschen Philologen. In Wahrheit war er selbst ein ganz unpolitischer 
Kopf, der die Wirkung seiner Worte nicht zu berechnen verstand. Wenn 
er die Hellenen schonungslos verunglimpfte, so arbeitete er doch den ver- 
haßten Russen in die Hände; auch seine Spöttereien über Egnatius Tar- 
tuffius konnten dem Zaren, der ja überall, namentlich in Bayern die Ultra- 
montanen bekämpfte, nur Freude bereiten. Aber er war zugleich ein Stück 
Poet, und darin lag seine Stärke. Der funkelnde, etwas überladene Stil 
der Fragmente sprühte von Geist und Leben. Die herrlichen hochromanti- 
schen Schilderungen des Komnenenschlosses von Trapezunt, der Wald- 
einsamkeit am Pontus, der lorbeerumrauschten Klöster auf dem heiligen 
Berge Athos blieben dem Leser unvergeßlich, und mit der Süßigkeit dieser 
Landschaftsdichtungen schlürfte er auch das geistreiche politische Kauder- 
welsch des Fragmentisten begierig ein, das im Grunde doch nur sagte: der 
Tod ist von den Sünden des Lebens frei, folglich steht der Türke hoch über 
den Rajah-Völkern. Da das freie England in Pera herrschte, so gaben sich 
die deutschen Liberalen der tröstlichen Hoffnung hin, die Stadt Konstantins 
sei vorläufig noch wohl geborgen in den Händen des Großtürken und 
seiner aufgeklärten Eunuchen. — 
 
	        
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