540 V. 7. Polen und Schleswigholstein.
Aus diesem ziellosen Gewoge diplomatischer Kämpfe erhob sich endlich
wieder eine festere Parteibildung, seit die geheime Arbeit der polnischen
Verschwörer die drei Ostmächte zu gemeinsamem Handeln zwang. Die
gastfreundliche Unterstützung, welche dieser erklärten Umsturzpartei in
England, Belgien und der Schweiz, vornehmlich in Frankreich gewährt
wurde, sprach allem Völkerrechte Hohn. Mit erstaunlicher Dreistigkeit
pflegte der Tuilerienhof von den Berliner Ministerien Mitteilungen zu
erbitten über preußische Untertanen, die in Paris als polnische Märtyrer
Unterstützung aus den geheimen Fonds verlangten. Canitz meinte zornig:
„Es ist eine eigene Forderung, die jetzt so oft wiederholt wird, daß die
preußische Regierung Anweisungen und Legitimationen für Verräter er-
teilen soll.“ Gleichwohl wurde die gewünschte Auskunft selten verweigert,
weil man auf solche Weise genaue Nachrichten über die Personen der Ver-
räter erhielt.*) Viele der sogenannten Geächteten lebten, gänzlich unver-
folgt, aus freiem Willen in der Verbannung, um die jedem polnischen
Herzen unwiderstehlichen Reize der Pariser Geselligkeit zu genießen oder
um das schlechte Handwerk der Verschwörung unter französischem Schutze
sicherer zu treiben. Die drei namhaftesten polnischen Dichter der Zeit,
Mickiewicz, Krasinski, Stowaski spielten allesamt, gefühlvoll wie Heinrich
Heine, die Rolle freiwilliger Flüchtlinge.
In den Kreisen solcher Ausgewanderten erlangen aber die extremen
Parteien stets die Oberhand. Die aristokratische Fraktion, die Gesellschaft
vom 3. Mai verehrte noch immer den greisen Fürsten Czartoryski als ihren
König Adam I. Czartoryski selbst hielt sich behutsam zurück. Er empfing
im Palaste Lambert die polnischen Flüchtlinge mit fürstlicher Gastfreund-
schaft und nahm auch zuweilen die Huldigungen der Pariser Studenten
und Journalisten entgegen. Alljährlich am 29. Nov. zur Feier der großen
Woche hielt er seinen Landsleuten eine wohlgesetzte Rede, um sie auf den
dereinstigen allgemeinen nationalen Aufstand zu vertrösten, aber auch vor
radikaler Überstürzung zu warnen. Seine Partei besaß an den Grafen
Zamoyski und Walewski zwei rührige, beharrlich umherreisende Agenten,
an dem schlauen, reichen Grafen Titus Dzialynski in Posen einen mächti-
gen geheimen Verbündeten. Sie unterhielt Verkehr mit dem internationalen
Priesterkreise zu München?*), auch mit dem Posener hohen Klerus, der seit
den wohlfeilen Triumphen des Erzbischofs Dunin seine revolutionäre Ge-
sinnung kaum noch verbarg und unter den Bauern das Lied verbreiten ließ:
Sammelt scharenweis euch alle!
Unser Feind, der Deutsche falle!
Ich der Propst verspreche euch
Fest dafür das Himmelreich!
*) Canitz, Bemerkung zu der Note des Marquis de Dalmatie, 24. Nov.; Bodel-
schwingh an Canitz, 21. Dez. 1846.
") Notice sur I’émigration polonaise, aus dem Departement des Grafen Orlow,
durch Rochow nach Berlin übersendet 26. Dez. 1846 — nur mit Vorsicht zu benutzen.