Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Schwäche der Westmächte. 557 
Englischer als die englischen Minister zeigte sich Bunsen. Der glaubte 
alles, was die Londoner Presse sagte, und versicherte im Ernst, seit 
Napoleons Gewalttaten hätte nichts mehr die britische Nation so furcht- 
bar erbittert; er wußte nicht, daß Österreich die Krakauer Frage zuerst 
angeregt hatte, und klagte entrüstet, dieser vergiftete Bissen sei durch Ruß- 
land dem Wiener Hofe dargereicht.) Statt die reiflich erwogene Rechts- 
anschauung seiner Regierung gegen das Ausland treu zu verteidigen, 
schickte er nach Berlin eine lange Denkschrift, welche sich ganz dem ober- 
flächlichen Gerede der englischen Zeitungen anschloß und den Beweis zu 
führen suchte, daß alle Unterzeichner der Kongreßakte über Krakaus Zu- 
kunft zu entscheiden hätten.') Dem Vertrauten des Königs mußte man 
viel nachsehen. Die Fülle dieser freiwilligen Bunsenschen Denkschriften, 
die sich nicht bloß über England**), sondern über ganz Europa mit lehr- 
hafter Sicherheit aussprachen, wurde jedoch auf die Dauer dem lang- 
mütigen Minister furchtbar. Als praktischer Diplomat war er diesem 
Gesandten doch immer noch weit überlegen, und er schrieb endlich sanft: 
„Zuweilen wandelt mich der Gedanke an: ob nicht einstens einmal ein 
Historiker, wie z. B. Ranke, über unsere Akten kommen und nachsehen 
könnte, wie diese mit den Zeitungen übereinstimmen oder was noch außer- 
dem über die Geschichte unserer Tage zu finden wäre? Kämen nun einem 
solchen Manne die von Ew. Exz. über die englischen, französischen, spani- 
schen und polnischen Fragen eingereichten Denkschriften in die Hände, so würde 
er, nachdem er sich des Fundes erfreut und ihn exploitiert hätte, vielleicht 
doch auch danach fragen, was der damalige Minister der Ausw. A. dazu 
gesagt habe? Scheint es nicht zuweilen, als ob es not getan habe, den Ver- 
blendeten zu warnen, daß er nicht alles verderbe und Preußen aus einer 
glänzende Aussichten gewährenden Stellung in eine verzweiflungsvolle 
bringe, als ob er inmitten aller Gefahren, welche französische Eroberung, 
russische Unterdrückung, österreichische Hemmnisse und allseitiges Miß- 
trauen dem Vaterlande drohen, taubstumm und lahm da gestanden hätte /T) 
In solcher Lage konnten die Ostmächte stolz und sicher auftreten. 
Canitz entwickelte in einem Rundschreiben an die Gesandtschaften (29. Nov.), 
was den König zu seinem Verfahren bewogen habe. Er schloß mit der zu- 
versichtlichen Behauptung, daß in Posen gar kein Stoff zu einem Aufstande 
vorhanden, alle Unruhe nur von außen hereingetragen sei, und „daß 
es folglich für uns von der größten Wichtigkeit ist, einen Herd dieser 
Umtriebe an den Grenzen der preußischen Lande nicht zu dulden oder 
vollends ihn als Schutz= und Pflegebefohlenen neu wieder aufzubauen, 
*) Bunsens Berichte, 24. Nov., 15. Dez. 1846. 
**) Bunsen, Untersuchung über die Krakauer Frage vom materiellen Standpunkte. 
1846. 
*#V) Bunsen, Die Verwicklung inden inneren Zuständen Großbritanniens, 13.Juli 1843. 
)) Canitz an Bunsen, 13. Jan. 1847. 
 
	        
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