Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

574 V. 7. Polen und Schleswigholstein. 
suchte. In vertrauten Briefen äußerte sich der Prinz von Noer aufs 
gröbste über „unser schwägerliches Schöpsgenie und die übrige Bagage, 
die meinetwegen zur Hölle fahren mag“. 
Der Herzog besaß eine gute Bildung, und die Gäste, die er auf 
Gravenstein oder Augustenburg empfing, rühmten die Liebenswürdigkeit 
seines ehrbaren Hauses; aber hinter gemessenen, weltmännischen Formen 
verbarg er eine hoffärtige Selbstgerechtigkeit, die in der langjährigen Ein- 
samkeit des Landlebens schließlich so mächtig anschwoll, daß er jede ab- 
weichende Meinung kurzweg für „blühenden Unsinn“ ansah. Vertrauen 
und Liebe fand er nirgends, obgleich er im Schleswiger Landtage taktvoll 
und verständig auftrat. Seine Gutsuntertanen im Sundewitt und auf 
Alsen haßten den strengen Grundherrn herzlich, sie waren die eifrigsten 
Dänen in ganz Nordschleswig. An die sittlichen Mächte des Völkerlebens 
glaubte er nicht fester als sein königlicher Schwager; der Zufall erschien 
seinem dürren Verstande als die bewegende Macht der Geschichte. 
Ebenso selbstgefällig dachte der Prinz von Noer; der trug seinen maß- 
losen Dünkel herausfordernd zur Schau, er ließ an niemand, nicht ein- 
mal an seinem Bruder, ein gutes Haar, und verletzte jedermann durch 
sein absprechendes, junkerhaftes Wesen. Noch nach dem Kriege rühmte er 
sich kurzab, „der einzigste konsequente Mensch in der schleswigholsteinischen 
Sache“ zu sein.*) Er prahlte mit seiner kriegerischen Tüchtigkeit und doch 
fehlte ihm jedes militärische Urteil, auf das preußische Heer sah er aus 
Himmelshöhen mitleidig hernieder. An unruhigem Ehrgeiz gebrach es ihm 
nicht. Die Statthalterwürde hatte er seit Jahren für sein Haus erstrebt; 
nachher wußte er freilich mit dem mehr glänzenden als einflußreichen 
Amte wenig anzufangen. Außer einigen persönlichen Freunden besaßen 
die Augustenburger durchaus keine Partei im Lande. Selbst K. Samwer 
war, als er seine erste Schrift über die Erbfolgefrage herausgab, dem 
Herzoge noch ganz unbekannt; ?*) er schrieb nach seiner ehrlichen juristi- 
schen Überzeugung und trat erst späterhin mit dem Augustenburgischen 
Hofe in Verkehr. Zwar verfaßte der Herzog selbst seit dem Ende der 
dreißiger Jahre eine Menge anonymer Schriften und Zeitungsartikel 
zur Verteidigung seiner Rechte, und noch manche andere Feder stand ihm 
zu Diensten. Aber diese emsige Schriftstellerei allein konnte nur wenig 
ausrichten. Auf die Massen der schlichten Bürger und Bauern wirkte 
der Name Augustenburg damals eher abschreckend als anspornend; sie 
waren, ohne viel nach den dynastischen Folgen zu fragen, schlechtweg 
begeistert für das alte deutsche Recht ihres Landes. 
Soeben erst, im Sommer 1844, hatte König Christian gewohnter- 
maßen das Seebad auf Föhr besucht und unterwegs aus dem herzlichen 
*5) Prinz v. Noer an Franz Hegewisch, 25. Dez. 1853. 
**) Dies ergebt sich unzweifelhaft aus den Briefen des Herzogs v. Augustenburg 
an Franz Hegewisch, 14. März, 3. April 1844. 
 
	        
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