Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

600 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
höchst anfechtbaren Spruche Entscheidungsgründe hinzu, welche selbst eine 
boshafte Verhöhnung des Deutschen Bundes und der monarchischen Ord- 
nung enthielten; der König aber stieß das Urteil nicht um, weil er die 
oberstrichterliche Gewalt seiner Krone nicht mehr gebrauchen wollte, son- 
dern begnügte sich mit einem strengen Verweise. Indes blieb der ärger- 
liche Streit um die Disziplinargesetze nicht unfruchtbar für die Zukunft. 
Wie maßlos Simon auch übertrieb, alle Unbefangenen mußten doch 
einsehen, daß die Versetzbarkeit der Richter in Zeiten politischer Kämpfe 
leicht zur Willkür führen konnte; der belgische Verfassungssatz, der die 
Richter gegen unfreiwillige Versetzungen sicherte, wurde zu einem Gemein- 
gute der öffentlichen Meinung und bald nachher in die preußische Ver- 
fassung aufgenommen. 
Mittlerweile hatte Uhden das Ministerium der Justizverwaltung 
übernommen, ein Jurist von mäßiger Gelehrsamkeit, in der Politik ganz 
ebenso konservativ wie sein Lehrer Savigny, aber ein nüchterner Ge- 
schäftsmann, der immer auf das Nächste, das Erreichbare ausging, auch 
seine Leute klug zu wählen verstand und, seit er das handelspolitische 
Ränkespiel des Zaren so entschlossen durchkreuzt hatte, auf das Vertrauen 
des Königs sicher zählen konnte. Uhden berief sogleich in die erste Stelle 
des Departements den liberalen Bornemann, der im Frondienste des 
verhaßten Ober-Zensurgerichts seinen alten Überzeugungen treu geblieben 
war. Auch dieser gescheite, entschlossene Praktiker hatte einst, wie die 
Mehrzahl der preußischen Richter, zu Savignys Füßen gesessen, doch die 
tiefgründige Gelehrsamkeit des Meisters genügte ihm nicht. Nach so vielen 
Anläufen und Versuchen wollte er endlich Taten sehen; er gewann sich 
die Zustimmung seines Ministers und an dem liberalen jungen Assessor 
Friedberg einen rüstigen Helfer für die Ausarbeitung seiner Entwürfe. 
Bald begann zwischen den beiden Justizministern ein heftiger Streit, wie 
zwischen dem Handelsamte und dem Finanzministerium — eine Beamten- 
Anarchie, die nur unter einem so steuerlosen Regimente möglich war. 
Die handfesten Geschäftsmänner der Justizverwaltung bereiteten dem 
Minister der Gesetzgebung eine Niederlage nach der andern; denn der 
König drängte vorwärts, er entschied fast immer zu Ungunsten seines ge- 
lehrten Freundes. Wenige Tage nach jenem folgenreichen Gesetze über 
das Strafverfahren, das die Offentlichkeit des Polenprozesses ermöglichte, 
am 21. Juli 1846 unterzeichnete Friedrich Wilhelm auch eine Verordnung 
über die Vereinfachung des Zivilprozesses; sie war im gleichen Geiste ge- 
halten und ebenfalls ohne die Zustimmung des Ministers der Gesetz- 
gebung vollendet worden. Im April des nächsten Jahres folgte ein Ge- 
setz über die Kompetenzkonflikte, das den Ansichten Savignys geradezu 
widersprach. Die Justizreform kam langsam in Gang, die altländischen 
Juristen näherten sich mehr und mehr den Gedanken des Rheinischen 
Rechts. —
	        
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