Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

602 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
Auch die Presse befaßte sich wieder lebhaft mit der Verfassungsfrage, 
seit Johann Jacoby dem jüngsten preußischen Provinziallandtage seine 
alten Forderungen in einer neuen Druckschrift vorgehalten hatte. Die 
Sprache des Königsberger Demagogen ward immer gehässiger. Wie ein 
zeternder Wucherer hielt er der Krone seinen Schuldschein vor; er be- 
hauptete, die Verordnung vom 22. Mai, die bekanntlich erst nach der 
Schlacht von Belle-Alliance erschienen war, sei dem preußischen Volke ge- 
geben worden als „Aufforderung zu neuem Kampfe“ und als Preis für 
frühere Opfer; er erdreistete sich sogar zu versichern, der alte König hätte, 
seiner Zusage ungeachtet, die provinzialständische Verfassung niemals den 
Eingesessenen der Provinzen zur Beratung vorgelegt. Die Notabeln- 
Versammlungen der Jahre 1822 und 23 waren diesem gefeierten Publi- 
zisten mithin ganz unbekannt. Überall in der Presse zeigte sich eine 
erschreckende Unkenntnis der preußischen Verfassungsgeschichte, so tief hatte 
das öffentliche Leben in den letzten Jahrzehnten geschlummert. Ein libe- 
raler Buchhändler veranstaltete eine Übersetzung der Schrift Benjamin 
Constants über den Triumph des konstitutionellen Prinzips in Preußen; 
weder der Verleger noch der Übersetzer noch die Leser wußten, daß dies 
Büchlein Constants selber nichts anderes war als eine Übersetzung der 
einst so viel genannten Benzenbergischen Schrift über Hardenbergs Staats- 
verwaltung.“) 
In solcher Lage erwarben sich die schlesischen Historiker Röpell und 
Wuttke immerhin ein Verdienst, als sie einige Aktenstücke zur Geschichte 
des verschollenen ersten preußischen Verfassungskampfes veröffentlichten. 
Daraus ließ sich für die Gegenwart doch mehr lernen als aus der Sam- 
melschrift des radikalen Nauwerk, der in wunderbarer politischer Unschuld 
alle die alten Freiheitsbriefe der Hochmeister und der Herzoge Preußens 
herausgab, um daraufhin die Notwendigkeit des Repräsentativsystems 
zu erweisen. Den Grundgedanken der liberalen Opposition sprach der 
Kammergerichtsrat W. v. Merckel drastisch aus, ein gemäßigter Mann, 
der in den späteren parlamentarischen Kämpfen stets den Mittelparteien 
angehörte. Er sagte in seiner Flugschrift „das Gerücht von einer Kon— 
stitution in Preußen“ (1845) kurzab: „bis jetzt gehören wir der Tat 
nach bloß der Gnade anderer, also dem Sachenrecht an.“ Wie unge- 
heuerlich auch dieser Satz erscheinen mochte, so dachte die liberale Jugend 
wirklich; sie empfand es als eine Beleidigung der Würde, der Freiheit, 
der Kultur des preußischen Volks, daß die Verfassung noch ausblieb, 
und in dieser sittlichen Entrüstung lag die Stärke der Opposition. 
Die Anhänger der ständischen Monarchie, die sich gegen Jacobys 
Genossen wendeten, der allezeit kampflustige Heinrich Leo, der Althege- 
lianer Henning, der geistreiche Bonner Geograph Mendelssohn befanden 
  
*) S. o. III. 227.
	        
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