Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

604 V. 8. Der Vereinigte Landtag. 
überall. Es ward hohe Zeit, dem erwachenden Bürgertum eine Bühne 
verantwortlicher politischer Tätigkeit zu eröffnen. — 
König Friedrich Wilhelm fühlte dies selbst, die Grundgedanken seines 
Verfassungsplanes standen auch schon seit langem fest, und gleichwohl ver- 
mochte er es noch immer nicht über sich, endlich einmal abzuschließen. 
Nachdem er im Sommer 1845 den widersprechenden Grafen Arnim ent- 
lassen und eine neue Verfassungskommission gebildet hatte, wollte er doch 
noch einmal Metternichs Meinung hören. Sehr ungern folgte der Oster- 
reicher dieser Einladung; er wußte jetzt längst, wie wenig die Ratschläge 
dritter über den König vermochten, und sah richtig voraus, daß die öffent- 
liche Meinung gleichwohl ihn selbst als Preußens bösen Genius verlästern 
würde. Im August trafen sich die beiden am Rhein, wo der König den 
Gegenbesuch der Königin Victoria empfing und seine Freude durch ein un- 
erhörtes Gepränge bekundete. Der große Zapfenstreich im Brühler Schloß- 
hofe, das prächtige Feuerwerk in Köln, die Enthüllung des Beethoven- 
Denkmals in Bonn und die tausend Salutschüsse, die von den Wällen 
des Ehrenbreitsteins und den Koblenzer Bergfesten herabdröhnten, erregten 
auch bei den verwöhnten britischen Gästen Verwunderung, und bis zu 
Tränen fühlte sich die Königin gerührt, als der erlauchte Schloßherr zu 
Brühl in einem begeisterten Trinkspruche das Wort feierte, das in bri- 
tischen und deutschen Herzen hell erklinge, wie einst auf dem Siegesfelde 
von Waterloo, so jetzt unter den Segnungen des Friedens am schönen 
Gestade des Rheins: Victorial Den Deutschen, natürlich mit Ausnahme 
des koburg-gothaischen Volkes, gefiel die also Verherrlichte wenig; die 
Rheinländer fanden sie „sehr englisch“, und dies war im Volksmunde 
keineswegs, wie am Berliner Hofe, ein Lobspruch. Auch Friedrich Wil- 
helm selber fühlte sich nachher etwas enttäuscht; er wünschte so sehnlich, 
sein geliebtes England fest mit den konservativen Ostmächten zu verbinden, 
und nun mußte er erleben, daß Victoria, nachdem sie noch die thürin- 
gische Heimat ihres Albert gesehen, auf der Heimreise plötzlich vom Wege 
abbog, um den Bürgerkönig zum zweiten Male in Eu zu besuchen. 
Während der rheinischen Feste hatte er mit Metternich, ja sogar mit 
Aberdeen mehrmals über seine Verfassungspläne geredet. Sein Herz 
drängte ihn, er mußte sich aussprechen; einen Rat konnte er von dem 
wohlmeinenden, geistlosen, aller deutschen Dinge unkundigen Lord doch 
unmöglich erwarten. Der Engländer gestand auch aufrichtig: ich bin aus 
den Worten des preußischen Monarchen nicht klug geworden. Metternich 
aber erkannte wieder, was er schon längst wußte, daß der König von dem 
Plane seines Vereinigten Landtags nicht mehr abzubringen war; er sah das 
alte Preußen schon vernichtet, das neue noch nicht gegründet; ihm war 
zu Mute, als erblicke er den Holbeinschen Totentanz, und zum Abschied 
weissagte er, was sich bald erfüllen sollte: „daß Ew. Majestät Ihre sechs- 
hundert Provinzialabgeordneten als solche einberufen und daß dieselben
	        
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