Letzte Beratungen der Verfassungskommission. 605
als Reichsstände auseinander gehen werden.“ Vor einigen Diplomaten
äußerte er zwar mit gewohnter Ruhmredigkeit: ich habe den preußischen
Verfassungsplan getötet. In Wahrheit fühlte er sich beklommen. Die
Nachrichten von den Leipziger Unruhen, die gerade während der Festlich—
keiten auf Stolzenfels einliefen, bekümmerten ihn schwer; er sah darin „ein
Vorpostengefecht“ der Revolution, eine neue Bestätigung seiner alten Be—
hauptung, „daß das Feuer brennt und das Scheidewasser ätzt,“ und im
November schrieb er warnend an Canitz: „Bei Ihnen ist schrecklich viel
auf einmal in Angriff genommen, und wo dies stattfindet, besteht Gefahr.
Die Dinge wachsen dem kräftigsten Menschen leicht über den Kopf. Ich
weiß nun, daß man mir hierauf antworten wird: das preußische Volk
ist ein anhängliches, überlegendes, nicht leicht verführbares; und dies eben
ist es, was ich weder für das preußische noch für kein Volk der Erde —
die Beduinenstämme etwa ausgenommen — als vollkommen richtig an—
nehme, denn nur die Wüste und das freie Leben in ihr kann keinen Er—
satz finden.“ Ich bin, so fuhr er fort, in meinem langen Leben „nie
stehen geblieben, ich bin stets mit der Zeit gegangen“, aber noch niemals
habe ich schwerere Gefahren erlebt, denn „heute steht die Revolution ent-
körpert und durch die Zeit geglättet vor einer Generation wieder da, welche
sie in der Periode der lebendigen Kämpfe nicht gekannt hat.“7)
Die Verfassungskommission hielt unterdessen, im Juli, dann nochmals
seit Ende Septembers, langwierige Beratungen. Fünf Minister, der Fürst
v. Solms-Lich und der hochkonservative brandenburgische Landtagsmar-
schall Rochow--Stülpe gehörten ihr an. Sie alle erklärten, Rochow allein
ausgenommen,") allgemeine Landstände für notwendig; sie wünschten
aber, der König möge statt einen unförmlichen Vereinigten Landtag zu
berufen, vielmehr die schon vorhandenen Vereinigten Ausschüsse verstärken
und mit reichsständischen Rechten ausstatten; so hätte sich alles weit ein-
facher gestaltet. Besonders lebhaft warnte der alte Rother, „selbst bei zu
besorgender Ungnade'“. Einstimmig verwahrte sich die Kommission gegen die
Bildung eines gesonderten Herrenstandes, die der bisherigen Verfassung
widerspreche.**) Doch was vermochten Kommissionsbedenken gegen Fried-
rich Wilhelms selbstherrlichen Willen? Er hielt alle seine Pläne standhaft
fest: den Vereinigten Landtag mitsamt der Herrenkurie, deren förmliche
Einrichtung er sich für die Zukunft vorbehielt, sodann die ständische Ge-
nehmigung aller Anleihen in Friedenszeiten, endlich das Recht der Be-
willigung neuer Steuern. Dies alte Recht deutscher Landstände schien ihm
ganz ungefährlich, denn an eine Erhöhung der direkten Steuern war, so
meinte er, in einer absehbaren Zukunft niemals zu denken, die Zölle aber
*) Metternich an Canitz, 25. Aug., 6. Nov. 1845.
**) Rochow-Stülpe, Denkschrift an den König, 13. Juli 1845
) Bericht der Immediatkommission an den König, 13. Okt.; Rother an Thile
6. Nov. 1845.