Wirkung des Patents. 611
beseitigt? War der Ausdruck „Landesrepräsentation“, der in ihr vorkam
und doch auch auf den Vereinigten Landtag paßte, wirklich so entsetzlich,
daß man um dieses einen Wortes willen ein Gesetz stillschweigend umstoßen
durfte? Und mußte nicht der Vereinigte Landtag, solange er seiner regel—
mäßigen Wiederberufung nicht sicher war, selber bezweifeln, ob er sich für
die gesetzmäßige Landesvertretung halten sollte? Und warum nicht ein
klares Zweikammersystem statt eines Herrenstandes, der bald mit der Kurie
der drei Stände, bald neben ihr tagen sollte? Diese Herrenkurie, an sich
gewiß einer der glücklichsten politischen Gedanken des Königs, war doch
leider nicht zum Abschluß gekommen und konnte, wie sie war, unmöglich für
eine gerechte Vertretung der aristokratischen Kräfte des Landes gelten. Von
ihren 72 Stimmen entfiel die größere Hälfte auf Schlesien und Rheinland
allein; die große Provinz Preußen erhielt nur fünf Stimmen, Pommern
gar nur eine einzige. Mit vollem Rechte fühlte sich also die treue Ritter-
schaft der alten Provinzen zurückgesetzt und gekränkt. Vergeblich mahnte
der Prinz von Preußen in seiner Denkschrift, man müsse die Aristokratie
ganz gewinnen, indem man sie ehre; vergeblich bat Graf Arnim-Boitzen-
burg noch in letzter Stunde um die Verstärkung des Herrenstandes 7); der
König behielt sich geheimnisvoll seine Pläne für die Zukunft vor. Und wo-
zu dann die wunderliche Bestimmung, daß die Gesetzentwürfe nach Belieben
bald dem Vereinigten Landtage, bald dem Vereinigten Ausschusse, bald den
Provinziallandtagen vorgelegt werden sollten? Offenbar wollte der König
durch diese künstliche Verteilung der ständischen Rechte verhindern, daß
eine der drei landständischen Körperschaften übermächtig würde. Er über-
sah nur, daß die natürliche Gewissenlosigkeit jeder vielköpfigen ständischen
Vertretung allein durch das Bewußtsein ernster Verantwortlichkeit gebän-
digt werden kann; dies Gefühl ward aber den Landtagen und Ausschüssen
geradezu genommen, wenn sie den Umfang ihrer eigenen Rechte nicht
mit Sicherheit kannten. Und warum endlich noch die rechtswidrige und
in Wahrheit nutzlose Verkümmerung des Rechtes der Anleihebewilligung?
Alle diese Abweichungen von den alten Gesetzen erschienen so bedenk-
lich, daß der hochherzige Entschluß des Monarchen und selbst die wichtige
Gewährung des Steuerbewilligungsrechts nicht recht gewürdigt wurde.
Obgleich das Patent jetzt nach dem langen Zaudern fast allen unerwartet
kam, so zeigte sich doch nur selten die dankbare Freude, die der König erhofft
hatte; die Stimmung blieb gedrückt und unsicher. Wohl sendete Max
Duncker mit seinen getreuen Hallensern eine Dankadresse an den Thron,
auch die Elbinger und die Thorner bekundeten ihre Freude und selbst der
radikale Ruge meinte, die Preußen dürften diese erste Möglichkeit prak-
tischen politischen Wirkens nicht aus der Hand geben. Am Rhein aber,
in Schlesien und vornehmlich in Altpreußen verlangten viele Stimmen
*) Graf Arnim-Boitzenburg an den König, 3. Jan. 1847.
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