Full text: Deutsche Geschichte im 19. Jahrhundert. Fünfter Teil. Bis zur März-Revolution. (28)

Simon, Annehmen oder Ablehnen. Gervinus. 613 
von Kurhessen, Norwegen und Belgien“ drucken. Diese drei Staaten hatten 
bekanntlich dem „Zeitgeiste die ihm gebührenden Zugeständnisse gemacht“, 
und da der Zeitgeist alles, die Geschichte nichts galt, so konnte hier jeder 
gesinnungstüchtige Leser lernen, wie viel glücklicher der freie Kurhesse war 
als der geknechtete Preuße. Auch die Flüchtlinge warfen ein Libell „das 
Patent“ über die Grenze, das einfach erklärte: „Alle Hoffnungen sind 
betrogen, alle Täuschungen sind zu Ende. Keine Volksgeltung ohne Volks— 
herrschaft, keine Volksherrschaft ohne Republik! Recht oder — Blut!“ 
Bei der besonnenen Mehrheit des preußischen Volks konnte ein so 
törichter, so undankbarer Radikalismus doch nicht durchdringen. Auf 
einer Versammlung rheinischer Abgeordneten zu Köln wurde, wenn auch 
unter mannigfachen Bedenken, endlich beschlossen den Versuch einer Ver— 
ständigung zu wagen, und es zeigte sich bald, daß die Gesamtheit der 
Provinzialvertreter entschlossen war, in alter Treue dem Rufe des Königs 
zu folgen. Die süddeutschen Liberalen meinten ebenfalls, mit dem starren 
Verneinen sei nichts getan. Welcker sogar, der alte grimmige Feind 
Preußens, gelangte in einer unförmlichen, mit allen Schlagwörtern des 
verendenden Vernunftsrechts ausgeschmückten Abhandlung „Grundgesetz 
und Grundvertrag“ doch zu dem Schlusse, das preußische Volk müsse diese 
große Gelegenheit mit Freuden benutzen: „gründet die ganze Freiheit, wie 
auch die anderen freien Völker sie haben.“ Auch Gervinus fühlte sich 
wieder verpflichtet mitzureden, obgleich er von preußischen Dingen noch 
weniger als Welcker verstand. Ihm fehlte sogar, was der ehrlich polternde 
Welcker doch einigermaßen besaß, die erste Tugend des Publizisten: die 
Freiheit des Gemüts, die Sicherheit des fest dem Ziele zugewandten 
Willens. Schwelgend im Genusse seiner eigenen Vollkommenheit redete er 
immer nur über Dinge hin und sagte nicht, was er eigentlich wollte. 
In seinem übellaunigen Büchlein „das Patent vom 3. Februar“ über— 
schüttete er Preußen mit einem solchen Gallenergusse, daß sein unschuldiger 
Freund Jakob Grimm ganz erschrocken antwortete: wenn das alles wahr 
wäre, wenn bei uns wirklich nur Lug und Trug herrschten, dann müßte 
ich „um jeden Preis aus einem solchen Lande weichen“! Im Grunde lief 
der ganze Tadel darauf hinaus, daß Preußen unglücklicherweise Preußen 
war und nicht Hessen-Darmstadt oder Sachsen-Meiningen; und dabei 
glaubte Gervinus doch Preußens treuester Freund zu sein. So viel ließ 
sich aus der Masse der Scheltworte immerhin erraten, daß der Ge— 
strenge nicht geradezu das kahle Ablehnen empfehlen wollte; aber was 
er tun konnte, um die Aussöhnung der Parteien zu hintertreiben, das 
tat er durch sein Zanken redlich. Neben diesen vielgelesenen Schriften 
wurde der alte Restaurator Haller kaum beachtet, als er in einer Flug— 
schrift tief besorgt die Krone vor allzu freigebigen Gewährungen warnte. 
Also war die Partei der unbedingten Verneinung vorläufig über— 
wunden, doch wirkliche Eintracht mit nichten hergestellt. Diese Regierung
	        
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