618 V. 8. Der Vereinigte Landtag.
stützen, doch völlig ratlos. Wo war ein Ausweg aus diesem durch den
Monarchen allein verschuldeten Rechtsgewirre? Der König hatte, den
Rat des Grafen Arnim verschmähend, sich nicht auf den unangreifbaren
Rechtsboden der Gesetze seines Vaters gestellt, sondern den Ständen
einerseits alte Rechte genommen, andererseits neue, größere Rechte ge—
schenkt; er hatte — daran hing alles — die Wiederberufung des Ver—
einigten Landtags durchaus seinem eigenen Ermessen vorbehalten und
also das ganze Verfassungswerk, das doch gerade abgeschlossen werden
sollte, noch in der Schwebe gelassen. Und unmöglich konnte der absolute
König, nach so großen freiwilligen Gewährungen, seine neue Gesetz-
gebung auf den Wunsch der Stände sofort wieder ändern; das Ansehen
der Krone und der persönliche Stolz Friedrich Wilhelms hätten unter
solcher Nachgiebigkeit zu schwer gelitten.
So stand denn dieser durch und durch königstreue, gemäßigte, be-
sonnene Landtag vor einer fast unlösbaren Rechtsfrage. Die Abgeord-
neten sagten sich: entweder sind wir die von dem alten Könige verheißene
Landesrepräsentation, dann müssen wir auch alle ihre Rechte für uns
verlangen; oder wir sind ein nach dem Belieben des neuen Herrschers
berufener Ständetag, dann dürfen wir die Rechte der Landesrepräsentation
nicht ausüben. Kühne Realpolitiker, wie der junge Deichhauptmann Otto
v. Bismarck, der hier zuerst in das öffentliche Leben eintrat, mochten wohl
über solche Skrupel lachen, denn mit voller Sicherheit ließ sich vorher-
sehen, daß der Vereinigte Landtag zu einer dauernden Institution des
Staates werden mußte; für den streng gesetzlichen Sinn der Mehrheit
aber waren die Rechtsbedenken fast unüberwindlich. Und leider ward die
Haltung der Opposition auch durch eine geheime Unwahrheit verdorben.
Die Männer, die sich so streng auf den Rechtsboden beriefen, wollten in
Wahrheit weit mehr, als die alten Gesetze verhießen. Sie trugen durch-
aus kein Bedenken, das neue Steuerbewilligungsrecht, das ihnen der König,
den alten Gesetzen zuwider, geschenkt hatte, gleichsam als gute Prise an-
zunehmen, denn sie hofften insgeheim den Monarchen Schritt für Schritt
auf neue Bahnen zu drängen. Die Mehrzahl der Rheinländer und viele
Vertreter der großen Städte des Ostens dachten an eine Verfassung
belgischen Stiles, die liberalen Edelleute an eine mächtige ständische Ver-
sammlung.
Allen diesen Bestrebungen hatte der König durch die willkürlich dilet-
tantische Behandlung der Rechtsfragen selber Tür und Tor geöffnet.
Das Wagnis seiner Politik war um so gefährlicher, da hinter den Ständen
noch andere Mächte der Bewegung standen, welche weit über die Ziele
des Landtags hinaus strebten. Die radikale Partei, deren Macht im
Lande sich doch nicht mehr verkennen ließ, fand auf dem Landtage
keinen einzigen Wortführer; nur dann und wann verriet sich in ein-
zelnen Außerungen der bäuerlichen Abgeordneten ein tiefer, verhaltener