Hassenpflug. Stahl. 55
Das mußte der Münchner Julius Stahl erfahren, da er in diesen Tagen
als Nachfolger des früh verstorbenen Gans den Lehrstuhl des Staats-
rechts an der Universität übernahm. Ein getaufter Jude wie Gans, war
er, anders als jener, von den Glaubenswahrheiten des Christentums
tief durchdrungen und sah in der Burschenschaft, der er sich mit Be-
geisterung anschloß, immer nur eine christlich-germanische Verbrüderung.
Herangereift widerlegte er in dem ersten, kritischen Teile seiner Rechts-
philosophie mit siegreicher dialektischer Kraft die Lehren des Naturrechts in
allen ihren Verzweigungen und war jetzt eben dabei, das Ideal der stän-
dischen Monarchie, das er keineswegs engherzig auffaßte, nach den An-
schauungen der historischen Rechtsschule systematisch auszugestalten. Wenn
er an seinem kleinen Tische saß, den Bleistift in der Hand, nichts vor
sich als ein Blatt weißen Papieres, dann schien er die Gedanken allein
aus sich heraus zu spinnen. Ein Zug von überfeinem Scharfsinn lag
in ihm, auch eine fanatische Ader, die späterhin, als die Gegensätze sich
schärfer zuspitzten, ihre Kraft zeigen sollte. Aber ernst und streng, ohne
jeden persönlichen Ehrgeiz lebte er ganz der politischen Idee, die ihm die
wahre schien; darum blieb er auch den Brüdern Grimm, die mit dem
genialen Instinkt ihrer erhabenen Einfalt sich immer nur an reine Men-
schen anschlossen, allezeit treu befreundet. Als Redner dem Vorgänger
mindestens ebenbürtig, übertraf er ihn bei weitem durch Tiefsinn und
Schärfe der Gedanken. Und wie pöbelhaft ward er empfangen; die
Hegelianer hatten sich verschworen, den gefürchteten Gegner des Natur-
rechts aus dem Hörsaale hinauszuscharren. Der schmächtige kleine Mann
mit den glitzernden Augen und den blassen scharfgeschnittenen orienta-
lischen Gesichtszügen hielt aber tapfer aus, Stunde für Stunde; er
zwang die Hörer ihm zu lauschen und erreichte wirklich, daß seine Vor-
lesungen durch lange Jahre die bestbesuchten der Hochschule blieben.
Schlimmer als solche unliebsame Berufungen wirkte der Zustand
unbefriedigter Erwartung. Man hatte nach allen den großen Worten
der Huldigungsfeier so zuversichtlich gehofft, daß irgend etwas Außer-
ordentliches sich ereignen müsse, und da nun zunächst gar nichts geschah,
so wuchs, zum Erschrecken schnell, von Tag zu Tag die grämliche Ver-
drießlichkeit. In diesen Tagen der Verstimmung unternahm Schön noch-
mals dem Monarchen seine helfende Hand zu reichen. Er lebte mit Ro-
chow in unaufhörlicher Fehde; der König aber, der als Selbstherrscher
die Zwistigkeiten seiner Werkzeuge mit gutmütiger Geringschätzung zu be-
trachten pflegte, suchte die Streitenden — so drückte er sich aus — immer
wieder zusammenzuleimen, da er beide noch zu benutzen gedachte und die
Königsberger Vorgänge sein Vertrauen auf Schön keineswegs erschüttert
hatten. Mittlerweile erschien in einer Berliner Buchhandlung ein Bild
des alten Königs, mit einer Ehrentafel seiner Großtaten, unter denen auch
das von Schön verfaßte politische Testament Steins aus dem Jahre 1808